„Werden sie Gott dienen?

Kommentar zum Studienartikel 44, Oktoberausgabe 2020

Es geht also um die Frage „Werden sie Gott dienen?” Wer ist mit „Sie“ gemeint? Eltern unter den Zeugen Jehovas wissen, um wen es in diesem Artikel mal wieder geht: um ihre Kinder. Sie sollen sich fragen, ob ihre Kinder den Dienst für Jehova anstreben. Was die Autoren dieses Artikels unter „Dienst für Gott“ verstehen, dürfte Zeugeneltern klar sein. Doch sicherheitshalber wird im Abs. 11 noch einmal zusammengefasst, was die WTG unter „Dienst für Gott“ versteht: Jehova anbeten, durch regelmäßigen Besuch der Zusammenkünfte und Kongresse, Beteiligung am Predigtdienst, ein Bethel besuchen oder auf theokratischen Baustellen mitarbeiten.

Dementsprechend sollen sich „gottesfürchtige Eltern“ fragen: Was setzt ihr euch für Ziele? Vorschlag:

  1. In der Dienstwoche als Familie den Hilfspionierdienst durchführen
  2. Eine Woche in selten bearbeitetem Gebiet predigen
  3. Beim Bau eines Königreichs- oder Kongresssaals mithelfen
  4. Das Zweigbüro besuchen und an einer Führung teilnehmen 

Gottesdienst, im Sinne der WTG, ist demnach alles, was die Organisation innerhalb ihrer Struktur als Ziel vorgibt und der Organisation nützlich ist. Begriffe wie: Hilfspionierdienst, Dienstwoche, Predigen in selten bearbeiteten Gebieten oder Beteiligung an theokratischen Baustellen“ werden in der Bibel nie mit Gottesdienst in Zusammenhang gebracht. Was natürlich nicht bedeutet, dass die WTG nicht irgendwelche Begebenheiten aus dem Neuen Testament benutzt, um ihre theokratischen Begriffe irgendwie um drei Ecken zu begründen.

Ja, die Bibel spricht vom Dienst für Gott, doch dieser Dienst für Gott bedeutet immer praktischen Dienst am Menschen, so wie er von Jesus vorgelebt wurde. Alles, was er tat, um die Lebenssituation seiner Mitmenschen zu verbessern, war Dienst für Gott, damit die Menschen erkennen konnten, wie Gott wirklich war.

Nun versteht es die WTG ja geschickt, ihre Art der Missionierung – den Predigtdienst – als den wichtigsten Dienst für Menschen zu deklarieren. “Aus Dankbarkeit”, so der Wachtturm, “seien alle Diener Jehovas verpflichtet, die rettende Botschaft auch von Haus zu Haus zu predigen.”

Die Liebe Gottes verlangt jedoch nicht nach Gegenleistung, und so hat Gottesdienst nichts mit Gegenleistung zu tun. “Dienst für Gott” bedeutet in der Zeugensprache: „mit Jehova zusammenarbeiten“. Hier handelt es sich um eine nichtbiblische Worthülse, abgeleitet von 1. Kor 3,9 und dies wird umgedeutet als “für Jehovas Organisation gemäß ihren Arbeitsanweisungen zu arbeiten.” De facto können wir auch in diesem Artikel “Jehova” oder “Gott” durch “Jehovas Organisation” ersetzen, das ist so gewollt.

Wenn also Eltern von Jehovas Zeugen aufgefordert werden, sich mit der Frage zu befassen: Werden eure Kinder Gott dienen?“ , dann wissen sie, es geht um die Frage: „Werden sie Gottes Organisation dienen?“, was im Absatz 1 dann auch sofort als die beste Entscheidung überhaupt beschrieben wird und was noch wichtiger ist – sie als Eltern sind für die Entscheidung ihrer Kinder verantwortlich, Zitat:

„Wenn Eltern schlechte Entscheidungen treffen, kann das für ihre Kinder Probleme mit sich bringen. Treffen sie dagegen kluge Entscheidungen, bieten sie ihnen die beste Chance auf ein glückliches Leben. Natürlich müssen auch Kinder gut entscheiden. Die allerbeste Entscheidung ist, unserem liebevollen himmlischen Vater, Jehova, (sprich seiner Organisation) zu dienen, siehe Ps. 73:28.“

Mit anderen Worten: Durch euren eifrigen Einsatz in der Organisation Gottes helft ihr euren Kindern, gute Entscheidungen zu treffen. Ein raffinierter Schachzug.

Natürlich ist es für einen gläubigen Menschen wichtig und gut, die Nähe Gottes zu suchen und zu spüren. Und natürlich wird ein Gläubiger über seine Erfahrungen mit Gott und über die Taten Gottes sprechen, welche sich für ihn vornehmlich im Opfer seines Sohnes, Jesus Christus, offenbaren. Doch darum geht es in diesem Artikel nur am Rande, es geht, wie wir lesen konnten, um Versammlungsbesuch, Beteiligung am Predigtdienst und an theokratischen Bauprojekten. Um diese Art des Gottesdienstes biblisch zu begründen, benutzt der Autor dieses Artikels die Eltern Jesu – Maria und Josef – sowie die Kindheit Jesu, als Vorbild. Geht es nicht noch eine Nummer größer? Ja, denn auch ihr Gott Jehova wird als Vorbild ins Feld geführt, Zitat Abs. 3:

„In diesem Artikel geht es um folgende Fragen: Welche guten Entscheidungen traf Jehova im Hinblick auf Jesus? Was können Eltern aus den Entscheidungen lernen, die Joseph und Maria trafen? Und was können Jugendliche aus Jesu Entscheidungen lernen?“

Wir dürfen gespannt sein.

Was Zeugen-Eltern von JEHOVA lernen könnten 

Welche wichtige Entscheidung traf Jehova in Verbindung mit Jesus angeblich? Im Abs. 4 wird dazu erklärt, Zitat:

„Jehova wählte für Jesus hervorragende Eltern aus. Die von Herzen kommenden Äußerungen Marias in der Bibel lassen erkennen, wie sehr sie Jehova und sein Wort liebte. Und die Reaktion von Joseph auf Jehovas Anleitung zeigt, dass er Ehrfurcht vor Gott hatte und ihm gefallen wollte“.

Na toll, was für eine tiefgehende Feststellung: Jehova wählte für Jesus die passenden Eltern aus. Ich versuche die Sinnhaftigkeit einer solchen tiefgehenden Erkenntnis zu verstehen. Was wollen die WTG-Autoren damit sagen? Welche Umstände machten Maria und Josef zu „passenden Eltern“? Natürlich, sie lebten nach dem jüdischen Gesetz. Das genügt der WTG um festzustellen, dass sie Jehova liebten und seine Anleitung befolgten. Damit funktionieren sie so ganz nach dem Geschmack der WTG und werden als Eltern idealisiert, denn sie befolgten Jehovas Anleitung. In der Übersetzung heißt das: Zeugen-Eltern müssen sich als solche erweisen, die Jehovas Organisation lieben und die organisatorischen Anweisungen, ohne zu hinterfragen, befolgen.

Ich frage mich, was wohl passiert wäre, wenn Jehova keine passenden Eltern ausgewählt oder gefunden hätte? Wäre dann sein Vorhaben gescheitert? Hing der Erfolg seiner Rettungsvorkehrung von der Wahl der Eltern ab? Natürlich nicht, hier wollen die Autoren Zeugeneltern unter Druck setzen: Denkt daran, Liebe zur Organisation und eurer Bereitschaft, deren Anweisungen zu befolgen, retten euer Leben und das Leben eurer Kinder.

In diesem Repertoire darf natürlich auch nicht der Hinweis auf ein „einfaches Leben“ fehlen, und natürlich findet man auch gleich eine Parallele zu den Eltern Jesu, Zitat Abs. 5:

„Interessanterweise wählte Jehova für Jesus keine reichen Eltern aus. Vielleicht hatte Joseph für seine Zimmermannsarbeit eine kleine Werkstatt neben seinem Zuhause in Nazareth. Sie müssen ein einfaches Leben geführt haben, besonders als die Familie weiter wuchs und sie schließlich mindestens sieben Kinder hatten.“

Ja, Jesu Eltern waren nicht reich, aber auch nicht arm. Worauf stützen sich die WTG-Autoren mit ihrer Vermutung, Jehova habe besonders darauf geachtet, dass die Eltern Jesu ein „einfaches Leben“ führten? Auf nichts, diese Vermutung entspricht einfach ihrer Vorstellung von einem Diener Gottes. Ein Diener Gottes hat, in ihren Augen, nur ein „einfaches Leben“ zu führen. Und dann folgt auch gleich noch der Hinweis:

„ … auch als die Familie weiter wuchs und sie mindestens sieben Kinder hatten, führten sie weiter ein einfaches Leben“.

Ein versteckter Hinweis, denn auch eine große Familie ist kein Grund, nach einer zeitaufwendigen Beschäftigung zu suchen, um mehr zu verdienen. Und gleich noch ein WTG-Problem findet sich im Leben Jesu, womit er angeblich fertig werden musste, Zitat Abs. 6:

„Jesus hatte auch mit Schwierigkeiten in seine Familie zu kämpfen. Zum Beispiel musste Jesus damit fertigwerden, dass seine Verwandten ihm nicht glaubten. Für ihn war es bestimmt sehr enttäuschend, dass Mitglieder seiner eigenen Familie ihn anfangs nicht als Messias annahmen“.

Jesus war angeblich traurig und enttäuscht, über den Unglauben einiger Familienmitglieder. Auch hier handelt es sich um reine Spekulation. Die angeführten Bibeltexte aus Mar. 3:21 und Joh. 7:5 zeigen zwar, dass die Brüder Jesu nicht an ihn als Messias glaubten, aber nicht, dass Jesus darunter zu leiden hatte. Aber diese Vermutung passt so schön in das von der WTG gezeichnete Bild böser weltlicher Familienmitglieder, unter den angeblich viele Zeugenfamilien zu leiden haben, obwohl die Realität ganz anders aussieht.

Die meisten der „weltlichen Familienmitglieder“ eines Zeugen Jehovas reagieren wesentlich toleranter auf Verwandte, die zu den Zeugen Jehovas konvertieren, als ein Zeuge Jehovas auf ein Familienmitglied, das die „Organisation Jehovas“ verlässt. Jesus hatte nicht unter dem Unglauben seiner Brüder zu leiden, aber Tausende ehemalige Zeugen Jehovas leiden unter dem Hass und der Ächtung ihrer Familienmitglieder, wenn sie sich von der Organisation Jehovas abwenden.

Im Wachtturm vom März 2018, im fünften Studienartikel, S. 31 Abs. 12, spitzt die WTG ihr drakonisch/unmenschliches Kontaktverbot noch weiter zu, indem hier de facto ein steinzeitlich/mittelalterlich anmutender “Familienbann”/eine “Sippenhaft” verhängt wird:

“Eine der größten Prüfungen für manche Eltern hat mit dem Verhalten gegenüber einem ausgeschlossenen Kind zu tun. Eine Mutter, deren ausgeschlossene Tochter von zu Hause auszog, gibt zu: „Ich suchte nach Schlupflöchern in unseren Veröffentlichungen, um mit meiner Tochter UND MIT MEINER ENKELIN Zeit zu verbringen.“ Dann sagt sie: „Aber mein Mann erklärte mir liebevoll, dass wir es nicht mehr in der Hand haben, wie es mit unserem Kind weitergeht, und dass wir uns nicht einmischen dürfen.“

Wie traurig: Betroffene Eltern sehen sich nach eigener Aussage gezwungen, nach Schlupflöchern in den WTG-Veröffentlichungen zu suchen, damit sie mit Kindern und Enkelkindern Zeit verbringen können. Und noch so ein Klischee, welches in diesem Absatz bedient wird, Zitat:

„Sicher musste Jesus hart arbeiten, um für seine Familie zu sorgen. Deshalb wusste er, wie es sich anfühlt, nach einem langen Arbeitstag müde zu sein“.

Ein Hinweis an alle, die meinen wegen Müdigkeit nach einem langen Arbeitstag, die Zusammenkünfte versäumen zu dürfen: Seht her, auch Jesus war nach einem langen Arbeitstag müde, aber er vernachlässigte nicht seinen Dienst für Jehova und versäumte keine Zusammenkunft und keinen Treffpunkt für den Predigtdienst. Auch wenn dies so nicht geschrieben steht, aber so ist es gemeint.

VON JOSEPH UND MARIA LERNEN

Ab Absatz 8 werden dann die Eltern Jesu – Maria und Joseph – den Zeugen-Eltern als Vorbild in Sachen Kindererziehung präsentiert, Zitat Abs. 8:

„Wie konnten Joseph und Maria Jesus helfen, zu einem Mann heranzuwachsen, der Gottes Anerkennung fand? Sie befolgten Jehovas Anleitung für Eltern. (Lies 5. Mose 6:6, 7.) Sie liebten Jehova von Herzen und es war ihnen sehr wichtig, ihren Kindern zu helfen, die gleiche Liebe zu entwickeln.“

So, so, auch hier wieder der Hinweis: „Sie befolgten Jehovas Anleitung“ und trugen so dazu bei, dass Jesus Gottes Anerkennung fand. Du hast richtig gelesen, das steht wirklich so da: „Maria und Joseph trugen dazu bei, dass Jesus Gottes Anerkennung erlangen konnte“, weil sie die ANLEITUNG JEHOVAS befolgten. Wie krank muss man sein, um solche absurden Schlussfolgerungen, aus dem Lebensbericht der Eltern Jesu, auf unsere Zeit heute zu übertragen? Besaß Jesus nicht schon lange vor seiner Geburt als Mensch die Anerkennung Gottes? Besaß er nicht schon von Anfang an das Vertrauen seines Vaters? Welche Rolle sollten da noch die Erziehungsmethoden seiner irdischen Eltern spielen?

Auch hier wieder der plumpe Versuch der WTG, das irdische Leben Jesu und das seiner Eltern in die WTG-Ideologie zu pressen, um es entsprechend ihrer Vorstellung anzupassen. Die Botschaft an Zeugen-Eltern ist: Bereitet eure Kinder auf die Herausforderungen des Lebens vor, indem ihr ihnen zeigt, wie sie Anleitung durch Gottes Wort (besser gesagt, durch die Anleitungen der Organisation Jehovas) bekommen können. Das steht zwar so nicht geschrieben, wird aber durch die dazugehörenden Bilder deutlich ausgedrückt. (Siehe Bilder zu Absatz 7)

Das linke Bild zeigt, wie Maria dem Kind Jesu offenbar lesen und schreiben beibringt, und das Parallelbild rechts zeigt eine Zeugenmutter, wie sie ihre Tochter, anhand der WTG-Literatur, auf das Leben eines Zeugen Jehovas vorbereitet. Und dann folgt eine weitere Unverschämtheit, Zitat Abs. 7:

„Seid ihr verheiratet und wünscht euch Kinder? Dann fragt euch: „Sind wir demütige Glaubensmenschen, denen Jehova ein kostbares Neugeborenes anvertrauen würde?“

Auch dieser Satz kann nur aus der Feder eines gehirngewaschenen WTG-Autoren kommen. Hier werden Eltern beleidigt, die ihre Kinder nicht im Sinne der WTG zu „Diener Jehovas“ erziehen möchten, man sagt ihnen indirekt: „In den Augen Gottes seid ihr es nicht wert, Kinder zu haben“. Und bei genauerem Nachdenken über diesen Satz muss man zu dem Schluss kommen, dass die WTG Kinder als Belohnung für gehorsames Umsetzen der WTG-Vorgaben betrachtet.

Und genau das ist die Denke in der Bibelexegese der WTG-Verantwortlichen. Deshalb werden –  gemäß der NWÜ in Ps. 127:3, 4Kinder als Belohnung Gottes bezeichnet und nicht als Geschenk:

„Söhne sind ein Erbe von Jehova.Kinder sind eine Belohnung“. NWÜ 

Im Gegensatz dazu bezeichnen alle anderen Übersetzungen Kinder als ein Geschenk Gottes. 

„Siehe, Kinder sind eine Gabe des HERRN, und Leibesfrucht ist ein Geschenk von Gott“. Luth.

Ein kleiner, aber wichtiger Unterschied, der die WTG-These widerlegt, dass die Erfüllung eines Kinderwunsches davon abhängt, ob die Eltern demütige Glaubensmenschen im Sinne der WTG sind, so dass Jehova ihnen ein kostbares Neugeborenes anvertrauen kann. Und noch ein weiteres absurdes Beispiel, Zitat Abs. 7:

„Du kannst deine Kinder nicht gegen alle Schwierigkeiten abschirmen. … Doch du kannst sie mit Liebe Schritt für Schritt auf die Herausforderungen des Lebens vorbereiten.“

 An was für Herausforderungen des Lebens denkt man hier?

„ … Wenn zum Beispiel jemand aus der Familie aufhört, Jehova zu dienen, zeig deinen Kindern anhand der Bibel, warum es so wichtig ist, Jehova treu zu bleiben (Ps. 31:23). Oder wenn ein geliebter Mensch stirbt, zeig ihnen, wie sie mithilfe von Gottes Wort mit Trauer fertigwerden und Frieden finden können“.

Kinder auf die Herausforderungen des Lebens vorzubereiten ist sicherlich eine der wichtigsten Aufgaben der Eltern. Doch achte hier darauf, was die WTG als eine Herausforderung des Lebens deklariert, Zitat: „ … Wenn zum Beispiel jemand aus der Familie aufhört, Jehova zu dienen“.

Es gilt mit Sicherheit größere Herausforderungen des Lebens zu meistern. Ich denke, dass es für die Organisation, angesichts der großen Flut an Aussteigern, eine größere Herausforderung ist, damit fertig zu werden. Deshalb ihre unermüdliche Ermahnung an ihre Anhängerschar „Jehova treu zu bleiben und Familienmitglieder zu meiden, welche der Organisation Jehovas den Rücken kehren“.

Und wie diese „Aussteiger“ oder „Abtrünnigen“ von ihren zurückgebliebenen Familienmitgliedern betrachtet werden sollten, wird in diesem Absatz auch gleich geschickt und unterschwellig gesagt. Der Umgang mit dem Tod eines geliebten  Menschen wird als ähnliche Herausforderung des Lebens betrachtet, wie wenn ein Familienmitglied aufhört „Jehova zu dienen“, sprich die Organisation verlässt. Ein solches Familienmitglied sollte wie gestorben, als nicht mehr existent betrachtet werden. Das ist zwar traurig, so wie der Tod ein trauriges Erlebnis ist, aber schon Kinder sollen darauf vorbereitet werden.

Worauf Joseph und Maria noch zu achten hatten

Gemäß Absatz 9 achteten Joseph und Maria auf gute „geistige Gewohnheiten“. In der Wachtturmsprache sind “geistige Gewohnheiten” in der Familie bestimmte von der WTG vorgegebene Handlungen, wie der Besuch der wöchentlichen Zusammenkünfte, der Predigtdienst oder das regelmäßige Studium der WTG-Literatur. Zitat Abs. 9:

„Joseph und Maria achteten auf gute geistige Gewohnheiten in der Familie. Bestimmt besuchten sie die wöchentlichen Zusammenkünfte in der Synagoge in Nazareth sowie das jährliche Passah in Jerusalem (Luk. 2:41; 4:16). Auf ihren Reisen nach Jerusalem haben sie Jesus und seinen Geschwistern vielleicht etwas über die Geschichte von Jehovas Volk erzählt oder sogar Orte besucht, die in den heiligen Schriften erwähnt werden. Es war bestimmt nicht einfach für Joseph und Maria, gute geistige Gewohnheiten beizubehalten, als die Familie weiter wuchs. Aber sie wurden sehr belohnt. Da sie die Anbetung Jehovas an die erste Stelle setzten, ging es ihrer Familie im Glauben gut.“ 

Aha, da sind sich die WTG-Autoren anscheinend sehr sicher: „Bestimmt besuchten Joseph und Maria die wöchentlichen Zusammenkünfte in der Synagoge in Nazareth.“ Auch für diese Behauptung gibt es keinen Beweis. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Juden überhaupt verpflichtet waren, regelmäßig, also wöchentlich die Synagoge aufzusuchen, so wie Jehovas Zeugen sich heute zweimal wöchentlich im Königreichssaal treffen. Aber egal, das muss ja – gemäß dem Denkschema der WTG – so gewesen sein, sonst hätte Jehova Maria und Joseph nicht als würdig befunden, sie als Eltern von Jesus zu erwählen.

In den Tagen Jesu versammelten sich die Juden außerhalb Jerusalems zum Gottesdienst in den Synagogen, insbesondere am Sabbat, um den wöchentlichen Ruhetag zu begehen. Dies geschah durch Gebet, Anhören des Schriftwortes und durch die Predigt. Allerdings war der Besuch des Gottesdienstes in der Synagoge nicht verpflichtend, so dass man nicht davon ausgehen kann, das alle jüdische Familien regelmäßig in der Synagoge den Sabbat feierten. Die Sabbatfeier beschränkte sich keinesfalls auf den Gottesdienstbesuch in der Synagoge, sondern wurde auch zuhause durchgeführt.

Von daher ist die Vermutung „Für Joseph und Maria war es nicht einfach, gute geistige Gewohnheiten beizubehalten und wöchentlich regelmäßig die Zusammenkünfte in der Synagoge zu besuchen”, ein Wunschdenken der WTG. Um ihre Behauptung, Jesu Eltern entsprächen ihrer Vorstellung einer geistig gesinnten Familie, noch zu untermauern, werden wieder zwei Bilder verwendet, die zeigen, wie Joseph und Maria mit ihren Kindern überschwänglich freudig begrüßt einen Versammlungsraum betreten, welcher dem heutigen Königreichssaal sehr ähnlich ist. Die Botschaft ist eindeutig: Seht her, auch Jesu besuchte mit seinen Eltern regelmäßig so etwas wie einen Königreichssaal.

Fazit: Auch dieser Artikel folgt dem bekannten Muster, Eltern und Kinder zu motivieren, ihre persönlichen Wünsche und Ziele, zugunsten einer Organisation aufzugeben. Nichts Anderes möchte man mit der Aufforderung: „Entscheide dich, Jehovas Willen an die erste Stelle zu setzen“ erreichen, denn „Jehovas Willen“ ist der Willen der Organisation Jehovas. Absatz 18:

Satans Welt will dir einreden, dass du glücklich wirst, wenn du deine Fähigkeiten zu deinem eigenen Vorteil nutzt. Doch die Wahrheit ist: Wer nach materiellen Zielen strebt, fügt „sich überall viele Schmerzen“ zu (1. Tim. 6:9, 10). Hörst du dagegen auf Jehova (sprich, seine Organisation) und entscheidest dich, seinen Willen an die erste Stelle zu setzen, wird dein Leben erfolgreich sein … “ (Jos. 1:8). 

Dieser Artikel ist ein weiterer Versuch, Zeugen Jehovas zu überzeugen, dass sie nur durch Einsatz für die Organisation Jehovas glücklich werden und ein ausgefülltes, spannendes und sinnvolles Leben führen können. Dieser Artikel basiert wieder auf der falschen Anwendung der Schrift – hier besonders das Leben Jesu und seiner Familie betreffend – und deren Anpassung an die bestehende Wachtturm-Doktrin.

Ihr jungen Menschen und Eltern, die ihr Zeugen Jehovas seid: Trefft kluge Entscheidungen und sucht nicht Gottes Anerkennung durch Werke, welche euch diese Organisation als Willen Gottes verkauft.

 

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Lieber Bruder,
die grösste Blosstellung der Wachtturm-Ideologie kann immer durch die Sezierung ihrer “Studienartikel” erfolgen. Deine diesbezügliche Argumentation ist wie immer hervorragend. Wenn man dazu noch bedenkt, dass gemäss den Gedanken, die man unserer Generation vermittelt hat (keine Kinder mehr vor Harmageddon zeugen, am besten nicht einmal mehr heiraten vor 1975), dann kann man einen Unterschied zwischen denn Gebrüdern Grimm (waren verboten, zu lesen, denn Märchen sind Lügen) und den Wachtturm-Autoren feststellen: Die Gebrüder Grimm haben Märchen gesammelt, die WTG erfindet sie…..

Sorry muss heissen: ..dass gemäss den Gedanken, die man unsrer Generation vermittel hat, eigentlich schon lange keine ZJ-Kinder mehr da sein düften (belasten nur in der Endzeit, und halten uns vom Predigen ab, Zeit und Kraft lieber in den Dienst investieren usw)…

Es wird immer skurrieler.

Ja, das ist ein Hohn! Jesus hat auch keine Kinder in seiner Predigtreise mitgenommen. Stattdessen sprach er mit Ihnen. Bei den ZJ nimmt man sie ohne das sie sich getauft haben und überhaupt wollen.
Wie frech von der LK auf die Kinder zu zielen und ihnen in den Gewissen lässt.
Man könnte diese WT und ET Gratis-Verkäufer und Hausierer Anzeige erstatten wegen unerlaubten Kindsgebrauch oder fast schon Kindsarbeit.

Shalom José

Ein Schwank aus meinem Leben: als ich so ca. 10 Jahre alt war, ging ich mal mit einem Sonderpionier von Haus-zu Haus. Es gab kaum eine Tür, an der wir ins Gespräch kamen. Meine auswendig gelernte Predigt kam mir nicht gut über die Lippen. Ich stammelte und sprach wohl etwas leise. Da sagte dieser Bruder doch glatt zu mir: “Wir hören erst mit dem Predigtdienst auf, wenn du an der Tür Zeitschriften abgegeben hast.” Da kam aber Freude auf! Nach 2 1/2 Stunden hatte er wohl auch genug und wir zogen mit traurigen Minen von dannen. Immerhin tröstet mich heute… Weiterlesen »

Guten Abend Bruder, vielen Dank für deine Mühe im Aufdröseln dieses Artikels. Mir taten sich ein paar Fragezeichen hinterm Pony auf. Z. B.: “Die allerbeste Entscheidung ist, unserem liebevollen himmlischen Vater, Jehova, (sprich seiner Organisation) zu dienen, siehe Ps. 73:28.“ Wie jetzt??? Wollen die Zeugen jetzt doch Kinder Gottes sein oder ist der Artikel nur für die 144.000 geschrieben? Zu Jesu Kindheit und Familienstatus: Man vergesse doch bitte nicht, dass Maria und Joseph für Jesus sehr kostbare Geschenke von den königlich Gesandten des Südens zum Anlass seiner Geburt erhalten haben: Gold, Weihrauch, Myrrhe. Es waren Geschenke von Königen für einen… Weiterlesen »

Hallo zusammen,
gehört nicht zum Thema, wollte nur einen Link teilen. Ist ein neuer Artikel auf der Schwesterseite über die Wiederkunft Christi.

https://www.bruderinfo.com/das-zweite-kommen-christi

🌸🌸🌸

Jeder, der Bruderinfo-Aktuell wegen Nichtfreischaltung diverser Kommentare kritisiert, sollte sich mal Folgendes fragen:
1. Will ich wüste Beschimpfungen und Bösartigkeiten lesen, wie z.B. auf Facebook?
2. Gibt es auf WT-Plattformen Möglichkeiten zur interaktiven Kommunikation?
3. Gibt es auf WT-nahen Seiten die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung, ohne innerhalb kürzester Zeit blockiert zu werden?
4. Kann ich mich in der Versammlung frei äußern, ohne später durch Mobbing eingeschüchtert zu werden?
Ich persönlich finde, BI bekommt die Balance zwischen freier Meinungsäußerung und niveauvoller Kommunikation sehr gut hin.
Ein herzliches Dankeschön dafür.

Last edited 3 Jahre zuvor by Peter

Jesus Christus könnte im Grunde sogar mit dem Wortlaut seines Apostels Paulus zu Eltern und ihren Kindern über die Wachtturm-Organisation und die Leitende Körperschaft folgendes sagen:   “Diese Leute, die euch zurzeit so umschmeicheln, meinen es nicht ehrlich mit euch. Sie wollen nur erreichen, dass ihr euch von mir abwendet und ihnen nacheifert.” (Galater 4:17 nach der Hoffnung für alle)    “Diese falschen Lehrer, die sich so um euch bemühen, handeln nicht zu eurem Besten. Sie versuchen, euch mir zu entfremden, um auf diese Weise leichter eure Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.” (Galater 4:17 nach der Neues Leben Bibel) Der… Weiterlesen »

Last edited 3 Jahre zuvor by www.Christusbekenner.de

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