Eine Entscheidungshilfe für Taufanwärter von Jehovas Zeugen.
Die Entscheidung ein Zeuge Jehovas zu werden wird nie rein rational getroffen werden, immer sind mancherlei Emotionen mit im Spiel. Da ist einmal die begeisternde Vorstellung, die Wahrheit gefunden zu haben, mit Gleichgesinnten verbunden zu sein, die Freude, die ein solcher Entschluss bei Freunden und der Familie auslösen würde, und nicht zuletzt endlich als gleichwertiges Glied der Gemeinschaft anerkannt zu werden.
Viele ehemalige Zeugen und sogar manche von den aktiven befanden sich in einem Zustand regelrechter Verliebtheit, in dem sie in ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas die einzig wahre Bestimmung sahen und in ihrer Emotionalität keinen Raum für Gegenargumente zuließen. Sie verbanden diesen Status mit dem Inbegriff von Perfektion und Fehlerfreiheit und dachten, nun endlich die lang gesuchte Lösung aller Probleme gefunden zu haben. Endlich hatte man das Gefühl von ehrlichen und anständigen Menschen umgeben zu sein.
Da war die Kritik von anders Denkenden nur eine weitere Bestätigung dafür auf dem richtigen Weg zu sein. Diese absolute Haltung dürfte indes nicht nur bei Zeugen Jehovas anzutreffen sein, vielmehr darf man sie bei jedem vermuten, der einer beliebigen religiösen Gruppe beitreten möchte. Die Verwandten und Freunde von Personen, die Zeugen Jehovas werden möchten, befinden sich in einer schwierigen Situation: Sie sind erschrocken, verwirrt oder wütend und glauben oft, eine Person würde von den Zeugen Jehovas durch Gehirnwäsche gefügig gemacht und mental verführt, Befürchtungen, die sich nach geraumer Zeit als richtig herausstellen.
Dabei gibt es schon im Vorfeld durchaus gute Argumente für und gegen die Zeugen – man sollte sie zumindest mit Bedacht abwägen und akzeptieren, dass die Gegenseite nicht immer falsch liegen muss. Wir möchten hier einige solcher Argumente zusammenstellen, die leider erkennen lassen, dass die Kontra-Argumente überwiegen. Es ist zu wünschen, das die hier angestellten Überlegungen auch eine Hilfe für Menschen sind, die sich für die Zeugen interessieren oder kurz vor ihrer “Taufe” stehen.
Die Einstellung der Zeugen zu BILDUNG, BERUF, und GELD
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Zeugen Jehovas eine abgeschlossene Ausbildung und die eigenständige Erwerbsfähigkeit ihrer Mitglieder fördern. Insgesamt betrachtet muss man einräumen, dass mit den wöchentlichen Zusammenkünften und Schulungen sowie durch die Publikationen der WTG eine gewisse Verbesserung der Allgemeinbildung bei den Zeugen zu beobachten ist.
Dabei sollte man verstehen, dass die Bildung nur den einen Zweck erfüllen soll, der Organisation Jehovas noch effektiver dienstbar zu sein. Es wird Wert darauf gelegt, dass sich die Mitglieder materiell selbst versorgen können, um den Bedürfnissen der Versammlung besser nachkommen zu können. Die geistige Führung wendet sich gegen Geldgier und Profitsucht, ohne dabei aber grundsätzlich irgendwelche Wirtschaftssysteme abzulehnen.
Die WT-Organisation ist durch Spenden und Gratisarbeit zu finanzieren, was ausdrücklich erwartet und auch regelmäßig eingefordert wird. Zwangsabgaben werden nicht erhoben, auch wird nicht kontrolliert, wer wie viel spendet. Die Organisation verfügt über ein milliardenschweres Vermögen, insbesondere an Immobilien, es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass sich jemand persönlich damit bereichert oder sich ein überzogenes Luxusleben finanziert. Die Wachtturmgesellschaft betont immer wieder, wie vorbildlich es sei, wenn “eifrige Zeugen” ihre beruflichen Wünsche zurückstecken und sich stattdessen “vollständig Jehova hingeben”.
Was von einem Zeugen Jehovas erwartet wird, um sein “Hingabegelübde” zu erfüllen, wird in den Publikationen regelmäßig hervorgehoben, so wie etwa im Wachtturm vom 15.2.2010 auf S. 24-28: ….”Viele, wie zum Beispiel Missionare, Bethelmitarbeiter, internationale Baufachleute, haben ihre “Felder”, ihre sichere Existenz, aufgegeben, um sich für die Königreichsinteressen in anderen Ländern einsetzen zu können. Nicht wenige unserer Glaubensbrüder haben sich von ihren “Häusern” getrennt, um ihr Leben zu vereinfachen.”
Ausbildung und Beruf werden zwar als notwendig erachtet, um sich selbst versorgen zu können, sollten im Zweifelsfall aber immer zugunsten einer “Tätigkeit für Jehova” hintangestellt werden. Als großes Ideal wird der Pionierdienst betrachtet, in dem der Predigtdienst zum Vollzeitjob wird, wobei sie sich aber selbst versorgen müssen. Gewarnt wird dagegen vor einer weiterführenden Bildung, etwa an Hochschulen: dort sei das Risiko groß, mit unnützem weltlichen Wissen und falschen Weltanschauungen überhäuft sowie durch “schlechten Umgang” verdorben zu werden. Gerne übersieht man hier, dass schlechter Umgang ebenso in einfachen Bildungsumgebungen möglich ist.
Das bedeutet oft, dass bessere weiterführende Ausbildungen abgebrochen oder gar nicht erst angegangen werden, womit die berufliche Karriere einer falsch verstandenen Loyalität geopfert wird – ein Schritt, der mitunter Jahre oder Jahrzehnte später bitter bereut wird.
Berufe oder freiwillige Tätigkeiten “in der Welt”, die hohen Zeiteinsatz erfordern und als zu stark “systemlastig” oder gesellschaftlich als zu sehr vereinnahmend gelten, sind verboten, zumindest aber verpönt. Das gilt für Berufe bei der Polizei und natürlich beim Militär sowie für freiwillige und ehrenamtliche Tätigkeiten bei der Feuerwehr oder dem Roten Kreuz und jede kirchennahe Organisation (z.B. die katholische Caritas). Die Dienstleistungen solcher Institutionen werden aber gerne in Anspruch angenommen.
Alle Spenden an die Organisation werden “für das weltweite Werk” verwendet, das heißt direkt oder indirekt für das Anwerben neuer Mitgliedern durch die Predigttätigkeit. Systematische humanitäre Hilfe wird nur im geringen Umfang finanziell unterstützt, weil die Organisation ihre Hauptaufgabe und die aller wahren Christen einzig im Verkündigen der Guten Botschaft sieht.
KONTAKT ZUR “WELT”
Von den Zeugen Jehovas wird offiziell kein äußerlich isolierter Lebensstil verlangt – sie gehen zusammen mit Nicht-Zeugen ihrer normalen Arbeit nach und besuchen die üblichen Schulen. Jedoch bleibt der Umgang mit Nicht-Zeugen immer auf das Notwendige beschränkt.
Enge Freundschaften oder gar Liebesbeziehungen mit Ungläubigen sind zwar nicht kategorisch verboten, gelten aber als äußerst unerwünscht bis gefährlich. Wer von den Zeugen einen Weltmenschen ehelicht, gilt als unreif und verletzt angeblich das Gebot, “nur im Herrn zu heiraten”. Wer neu einsteigt, wird dazu gedrängt, die bisherigen “weltlichen” Beziehungen zu anderen langsam aber sicher zu reduzieren. Das ergibt sich schon fast automatisch mit dem hohen Zeitaufwand beim regelmäßigen Besuch aller Zusammenkünfte, die intensive Vorbereitung darauf und den Predigtdienst von Haus zu Haus. Bald besteht das eigene soziale Umfeld nur mehr aus Zeugen Jehovas.
Auf Außenstehende muss das wie eine Selbstisolation wirken, doch gewinnen auch die neuen Mitglieder zunehmend den Eindruck, die anderen würden sich von ihnen abwenden, während die Zeugen sie mit offenen Armen empfangen. Hier entstehen Bruchlinien quer durch Familien, und jahrzehntelange Freundschaften lösen sich allmählich auf. Sehr unangenehm wird dieser Umstand jedoch, wenn Mitglieder irgendwann später an der Richtigkeit ihrer Entscheidung zu zweifeln beginnen und erkennen müssen, dass sie da draußen nun niemanden mehr haben, dem sie sich anvertrauen könnten, und sich gezwungen sehen weiterhin bei den Zeugen zu bleiben.
FRIEDE UND GLEICHHEIT
Die Zeugen Jehovas sind praktizierende Pazifisten, Antinationalisten und Antirassisten: Gewaltanwendung über eine Notwehr hinaus wird abgelehnt, Nationalität oder Rasse spielen keine Rolle. Obwohl man zu Nichtmitgliedern distanziert bleibt, pflegt man doch grundsätzlich höflichen Umgang mit ihnen, sofern es sich nicht um Ex-Mitglieder handelt.
Im engeren Wortsinn sind die Zeugen Jehovas jedoch keine Pazifisten. Sie glauben durchaus an eine extrem gewalttätige Lösung aller Probleme und gehen davon aus, dass alle Ungläubigen Menschen in Harmagedon umkommen werden – aber eben nur durch Gott, keinesfalls durch ihr eigenes Zutun. Sie bezeichnen sich stets als neutral, nicht als pazifistisch.
Verschwiegen wird heute, dass Publikationen der Zeugen Jehovas bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hinein immer wieder rassistische Aussagen enthielten. Man bemühte die Bibel, um die Unterlegenheit und die Eignung der schwarzen Rasse als Diener zu stützen. Ebenso wenig ist bekannt, dass Zeugen Jehovas, damals noch bekannt als “Bibelforscher”, im 1. Weltkrieg aktiv am Kriegsdienst teilnahmen.
GEMEINSCHAFT
Die Zeugen Jehovas bilden eine enge Gemeinschaft, in der man sich in aller Regel gegenseitig hilft. Gerade Neuankömmlinge fühlen sich oft wie in einer neuen, besseren Ersatzfamilie mit Aufmerksamkeit und Liebe überschüttet.
Allerdings ist diese Nestwärme bei den Zeugen Jehovas eine bedingte. All die Nähe und Freundschaft können nämlich dann schlagartig abkühlen, wenn man im Verdacht steht, auf irgendeine Weise kein gutes Mitglied mehr zu sein. Wenn man nicht im Sinne der “Organisation Jehovas” funktioniert und etwa in dem Ruf steht ein “schwacher Verkündiger”, “geistig schwach” oder gar “schlechter Umgang” zu sein, ist es mit der Zuwendung rasch vorbei.
Diese Distanzierung ist keine individuelle Entscheidung einzelner, sondern ein gezielt eingesetztes mehrstufiges Instrument, um strauchelnde Schäfchen wieder auf Kurs zu bringen. In extremen Fällen kann das bis hin zum Gemeinschaftsentzug führen, wodurch man zur Persona non grata oder zu einer unerwünschten Person herabgestuft wird. Aus diesem misslichen Zustand heraus muss sich eine bußbereite und reuige Person erst wieder mühsam das Vertrauen der Ältesten erkämpfen, um dann peu à peu von der Versammlung wieder als vollwertiges Glied akzeptiert zu werden.
Die enge Gemeinschaft kann mitunter auch zu eng werden: jeder ist gehalten wohlmeinend “auf seinen Bruder zu achten” und Probleme den Ältesten melden. Das führt aber leicht zu einem Gefühl der Überwachung und einem Denunziantentum, wie auch zu einer brodelnden und manchmal bösartigen Gerüchteküche in der Versammlung. Das ist ein Problem, das ich sowohl von höchst überzeugten und gläubigen ZJ wie auch von Aussteigern immer wieder gehört habe. Es wird auch manchmal in den ZJ-Zeitschriften angesprochen.
PERSONENKULT?
Im Gegensatz zu vielen anderen Gruppen gab es bei den Zeugen Jehovas bisher keinen offenen Personenkult. Die Männer aus den einzelnen Führungsebenen werden zwar anerkannt, aber nicht angebetet. Ein “Guru” existiert genauso wenig, wie es Heilige gibt.
Doch ist seit geraumer Zeit ein verstärktes Bestreben zu erkennen, die “leitende Körperschaft” bedingungslos als die von Gott eingesetzte Autorität anzuerkennen, wobei ihre Position sogar den Aposteln gleichgestellt wird. Das nicht völlig zu akzeptieren, ist gleichbedeutend mit Abtrünnigkeit und wird mit Gemeinschaftsentzug geahndet.
Zum fundamentalen Credo der Zeugen Jehovas gehört der Glaube an die Organisation. Man kann kein vollwertiger Christ sein, wenn man die Organisation der Zeugen Jehovas nicht als die eine und einzige anerkennt, die von Gott geleitet und ermächtigt ist. Um diese Organisation dreht sich alles, und nur sie bestimmt, wie die Bibel zu verstehen ist. Gläubige sollen zwar die Bibel lesen, aber prinzipiell entscheidet die WTG, was darin wie zu verstehen ist.
Im Sprachgebrauch wird daher Gott stets mit der Organisation verbunden. Wer sich von der Organisation trennt, verlässt Jehova, nur wer sich der Organisation anschließt und ihre Regeln befolgt, dient Jehova. Für die Zeugen Jehovas selbst ist das völlig logisch, und was nach außen hin als Organisationskult wahrgenommen wird, ist für sie die Form der Anbetung Gottes, wie sie von ihm selbst erwartet wird.
GEHIRNWÄSCHE?
Es gibt keine gezielte Gehirnwäsche, durch die arme, willenlose Opfer in die Fänge der Zeugen Jehovas geraten. Ebenso wenig gibt es Geheimlehren, die sich erst fortgeschrittenen Mitgliedern offenbaren. Die Lehren sind von Anfang an klar. Die Zeugen fordern dazu auf, ihre Lehren zu überprüfen und sich dann dafür zu entscheiden – oder es zu lassen.
Der Einstieg bei den Zeugen Jehovas ist kein brutales “Hineingezogen werden”, sondern man geht selbst schrittweise auf sie zu – durchaus mit ein bisschen Ziehen und Anschieben, aber nie gegen den eigenen Willen. Mit jedem Schritt wird aber der Entscheidungsspielraum kleiner. Von Anfang an wird erklärt, dass Satan versuchen würde, den Neuling von den Zeugen abzuhalten mit der Absicht doch weniger auf Kritik von außen zu achten. Kritikern wird stets unterstellt, sie seien böswillig oder von Satan beeinflusst, sodass man auf sie erst gar nicht hören dürfe.
Die “freie Entscheidung” und Prüfung des Glaubens kann damit eigentlich nur auf Informationen von Zeugen Jehovas beruhen, die sorgfältig gefiltert werden, nur um zur einzig richtigen Entscheidung zu kommen. In diesem Sinne kann man schon durchaus von einer sanften Gehirnwäsche oder von sanftem Druck sprechen, den man pausenlos anwendet.
Wer sich als Zeuge Jehovas mit Abtrünnigen sehen oder mit der Literatur von Kritikern erwischen lässt, kann sich zumindest auf einen Besuch sorgenvoller Ältesten gefasst machen. Wer als aktiver Zeuge ernsthafte Zweifel oder Kritik an der Organisation ausspricht, riskiert den Ausschluss aus der Gemeinschaft mit all seinen Konsequenzen. Missstände in einer Versammlung oder der Organisation als Ganzes sollten höchstens mit den Ältesten vertraulich besprochen werden, um dann demütig auf Jehova zu warten, der sie irgendwann bereinigen wird. Viele Aussteiger berichten von Schuldgefühlen und Angst, als sie erstmals kritische Texte über die Zeugen lasen. Sie hatten damit ein echtes Tabu gebrochen.
Obwohl es keine “Geheimlehren” im engeren Sinn gibt, wird den Zeugen Jehovas eine extrem gefilterte und geschönte Version der eigenen Geschichte vermittelt. Die aus heutiger Sicht bizarren und widersprüchlichen Lehren vergangener Zeiten sind heutzutage so gut wie keinem Zeugen Jehovas auch nur ansatzweise bekannt. Wenn doch, dann wäre das nur aus der verfemten Literatur von “Abtrünnigen” oder Kritikern möglich.
Einige Publikationen stehen denn auch unter strenger Geheimhaltung, so etwa das Anleitungsbuch für Älteste, das ausschließlich sie selbst lesen dürfen mit der Auflage, dass es keinesfalls ihre Ehefrauen zu Gesicht bekommen dürfen. Mittlerweile kursieren aber Kopien solcher “geheimer” Publikationen im Internet, wobei festzustellen bleibt, dass der Inhalt nicht besonders spektakulär ist.
MORALISCHE SICHERHEIT
Wie immer man auch zu den Lehren der Zeugen Jehovas stehen mag, sie sind zumindest in unseren Breiten durchwegs mit den Gesetzen und den landläufigen Moralvorstellungen verträglich: Diebstahl, Gewalt, Untreue wie auch selbstzerstörerisches Verhalten, etwa Drogensucht oder Alkoholismus werden strikt abgelehnt. Wer in dieser Hinsicht labil ist, kann davon profitieren, dass das “richtige” Verhalten hier absolut klar ist. Bei den Zeugen Jehovas gibt es wenige Grauzonen und viel Bestätigung für richtiges und Bestrafung für falsches Verhalten.
Mit dem Niedergang großer moralischer Instanzen wie der Kirche und einer Zeit immer größerer Freiheiten und verschiedenster Lebensmodelle bieten die Zeugen Jehovas eine Sicherheit, die attraktiv ist: die Regeln sind klar, und verhält man sich regelkonform, wird man von allen Seiten ständig wohlwollend bestätigt. Neben dem Gemeinschaftsgefühl ist das ein großer emotionaler Anreiz, und so fällt eine schwere Last an Entscheidungen und “Einerseits-Andererseits”-Erwägungen weg, wenn man sich denn für solch ein vorgefertigtes Lebensmodell entscheidet.
Da gibt es viele Einschränkungen zusammen mit Anforderungen, die wenig mit “Moral” zu tun haben. So kann es leicht passieren, dass sich Mitglieder selbst irgendwann einmal nicht mehr für gut genug oder “würdig” erachten, etwa weil sie zu wenig im Predigtdienst stehen, gewisse Glaubenszweifel haben, sich mit “weltlichen” Interessen abgeben oder wenn gar andere ihnen das vorhalten sollten. In der Literatur der Zeugen Jehovas wird da aber kein Unterschied gemacht. Wer nicht mehr als guter Zeuge funktioniert, dem wird auch sonst der sittliche Verfall oder die Gefahr des Abfalls vom Glauben prognostiziert, süchtig zu werden, kriminell, promiskuitiv oder dergleichen mehr.
AUSSTIEG
Der Austritt ist jederzeit möglich, ein geordneter ehrenhafter Rückzug ist jedoch kaum möglich. Wer die Gruppe verlässt, wird mit den drastischen Worten aus dem zweiten Petrusbrief bedacht: “Auf sie trifft das wahre Sprichwort zu: Der Hund kehrt zurück zu dem, was er erbrochen hat, und: Die gewaschene Sau wälzt sich wieder im Dreck.”
Wer offiziell austritt, steht daher auf einer Stufe mit Ausgeschlossenen, wenn nicht gar darunter. Sofortige Ächtung durch alle Mitglieder ist die Folge, und alle sozialen Kontakte werden vollständig abgebrochen. Aktive Mitglieder werden ständig ermahnt, Ausgetretene und Ausgeschlossene strikt zu meiden und mit ihnen keinerlei Kontakt zu halten. Bei Zuwiderhandlung riskieren sie selbst den Ausschluss.
Viele Ausstiegswillige, besonders solche mit Familienangehörigen, die weiter der Organisation angehören, versuchen daher sich leise zurückzuziehen. Sie erklären dann nicht ihren offiziellen Austritt, sondern sie besuchen einfach immer seltener die Zusammenkünfte und bleiben irgendwann ganz weg. Auf die unvermeidlichen Ältestenbesuche und Nachfragen reagieren sie höflich ausweichend, manche ziehen sogar um, damit sie weniger im Blickfeld stehen. Gelingt das, gelten sie nicht mehr als aktive Mitglieder, sind aber eben auch keine “Abtrünnigen”. Gelingt es nicht sie zur Umkehr zu bewegen, können sie in Abwesenheit ausgeschlossen werden.
Ein solcher Rückzug kann zwar nicht unbedingt die Ächtung einzelner Versammlungsglieder verhindern, zumindest aber schließt er das strikte Kontaktverbot für die Zeugen Jehovas insgesamt aus.
EHRLICHKEIT
Zeugen Jehovas sollen ein hohes Maß an Ehrlichkeit leben, auch wenn es für sie unangenehm ist. Selbst kleine “Alltagsschummeleien” sind verpönt. Während viele Mitglieder tatsächlich im Alltagsleben sehr ehrlich sind, gibt es gewisse Einschränkungen, sobald es um die Organisation selbst geht. Eine Rechtfertigung dafür ist der Begriff “theokratische Kriegführung”. In kritischen Situationen darf die Wahrheit verschwiegen werden, um Gott oder die Organisation zu schützen. Das bedeutet in der Praxis, dass mit sprachlichen Tricks und Halbwahrheiten gearbeitet wird, die sich hart an der Grenze zur glatten Lüge bewegen.
Unter diese Rubrik fallen etwa Aussagen von Sprechern der WT-Organisation, dass es kein Kontaktverbot gegenüber Ex-Mitgliedern gebe, das sei “eine individuelle Entscheidung” des Einzelnen, oder dass niemand für das Akzeptieren von Bluttransfusionen ausgeschlossen würde, oder dass man niemals das Schlagen von Kindern befürwortet habe. Solche Statements wurden oft im Zusammenhang mit den Anerkennungsverfahren in Deutschland und Österreich abgegeben.
Ebenfalls fragwürdig ist der Umgang der WTG mit Zitaten in ihren eigenen Publikationen. Besonders zu Themen wie Evolution oder Bibelchronologie werden gerne Wissenschaftler derartig entstellend zitiert, dass sich deren Aussage komplett ins Gegenteil verkehrt. Da kaum ein Leser Zugriff auf die Originalpublikationen hat, fällt das nicht weiter auf. Diese Praxis wird seit längerem systematisch betrieben, sodass man kaum von vereinzelten Ausrutschern oder von “Wunschdenken” sprechen kann.
Neurotischer Reinheitswahn und seine Folgen
Jehovas Zeugen legen großen Wert auf sexuelle Reinheit und Moral, und die Reinheit der Organisation wird allem vorangestellt.
Nichts wird unter ZJ so sehr geahndet wie sexuelle Verfehlungen. Die meisten Gemeinschaftsentzüge sind tatsächlich darauf zurückzuführen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Ältesten regelrecht darauf erpicht sind, einen Komiteefall heraufzubeschwören, zumindest diesen herbeizuwünschen.
So kann es durchaus passieren, dass zwei Älteste ein junges Pärchen beobachten, um nicht zu sagen, bespitzeln, wenn sie die “Gefahr von Hurerei” vermuten. Paulus, nicht der Herr, empfiehlt Unverheirateten und Witwen in 1.Ko 7:8,9 lieber zu heiraten als von Leidenschaft entbrannt zu sein. Doch zeigt der Text in 1.Ko 7:35,36 Hfa deutlich, dass es dem Ermessen und dem Gewissen des Einzelnen überlassen bleibt, wozu er sich entschließt. “Ich sage dies alles nicht, um euch durch irgendwelche Vorschriften einzuengen, sondern um euch zu helfen. Ich möchte, dass ihr ein vorbildliches Leben führt und unbeirrt nur das eine Ziel verfolgt, beim Herrn zu bleiben. Wenn aber jemand meint, es sei Unrecht, seine Braut nicht zu heiraten, und wenn sein Verlangen nach ihr zu stark ist, so soll er tun, was er für richtig hält. Die beiden können heiraten, es ist keine Sünde”.
Völlig überzogen und unangemessen ist es jedoch, wenn Älteste bereits darin den Straftatbestand schwerer sexueller Verfehlung erkennen wollen, wenn ein unverheiratetes Paar alleine in einer Wohnung übernachtet. Das geht sie nichts an, diese Entscheidung liegt allein im Ermessensspielraum des Paares selbst, und sie müssen für ihre Handlung vor ihrem Schöpfer geradestehen und nicht vor Ältesten.
Schon eine “eheähnliche” Partnerschaft betrachten Jehovas Zeugen als Hurerei, wie das auch andere Freikirchen tun, die darin eine Form der “Unzucht” sehen.
Auf dem Gebiet der Sexualität und der Sexualerziehung wird die Leibfeindlichkeit bei den ZJ in besonderem Maße offenkundig. In sämtlichen Wachtturm-Schriften begegnet man der Unterdrückung der Sexualität, angefangen vom Verbot der Masturbation bis hin zur Enthaltsamkeit, d. h. dem Verbot vorehelichen Geschlechtsverkehrs. Dies ist eine der Ursachen dafür, warum die meisten ZJ ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper haben, denn diese Art der “Sexualerziehung” wird schon bei Minderjährigen angewandt und zerstört so die jungen Seelen, die mit einer pervertierten und zerstörerischen Ansicht zur Sexualität aufwachsen, wodurch nur der Prüderie und dem Purismus Vorschub geleistet wird.
Ist die TAUFE ein GEHORSAMSEID?
Möchte sich jemand als Zeuge Jehovas durch Untertauchen im Wasser taufen lassen, muss er zuvor erst noch einige Vorleistungen erbringen. Der angehende Zeuge wird ausgiebig anhand der Wachtturm-Literatur in einem sogenannten Bibelstudium unterwiesen. Damit wird sichergestellt, dass er auch alles genau so glaubt, wie ein Zeuge Jehovas es glauben soll. Nachdem er etwa 90 Fragen zufriedenstellend beantwortet hat, wird er “zur Taufe zugelassen”. Dabei geht es nach dem Wachtturm vom 01.06.1985, Seite 30 um die folgenden beiden Fragen:
Hast du auf der Grundlage des Opfers Jesu Christi deine Sünden bereut und dich Jehova hingegeben, um seinen Willen zu tun? Bist du dir darüber im Klaren, dass du dich durch deine Hingabe und Taufe als ein Zeuge Jehovas zu erkennen gibst, der mit der vom Geist geleiteten Organisation Gottes verbunden ist? |
Besonders der zweite Satz dieser Tauffragen macht deutlich, dass es bei der Taufe nicht darum geht den Täufling zu Christus und zu Gott zu führen sondern zu einer Organisation. Ausdrücklich wird gefordert, dass er sich jetzt als ein Zeuge Jehovas zu erkennen geben muss und anerkennt, dass er es mit der vom Geist geleiteten Organisation Gottes zu tun hat und mit ihr “verbunden” ist. Der Akt der Taufe wird zu einem Gehorsamseid umfunktioniert.
- Der Täufling muss sich bekennen, Jehovas Zeuge zu sein.
- Der Täufling erkennt die Organisation als Organisation Gottes an.
- Der Täufling erkennt an, dass die Organisation vom Geist geleitet ist.
- Der Täufling verbindet sich mit dieser Organisation.
Betrachtet man, was die Bibel zum Thema Taufe lehrt, so stellt man fest, dass der Sinn der Taufe von der WTG in ein sogenanntes “Hingabegelübde” umgedeutet wird, das erfüllt werden muss, um errettet zu werden, indem man sich für die “Organisation Gottes” verausgabt.
Nach der Taufe wird jeder “Neu-Verkündiger” mit der Zeit erleben, dass er daran beurteilt wird, inwieweit er seinem angeblichen Hingabegelübde entsprechend lebt. Sollten die Ältesten seiner Versammlung feststellen, dass einer ihrer Zeugen auf einem Gebiet des Dienstes und des Einsatzes für die Organisation Jehovas kränkelt, wird er “liebevoll” ermuntert seine Beweggründe zu überprüfen.
Doch die Taufe ist kein Akt, mit der man seine Loyalität zu einer menschlichen Führerschaft oder einer organisierten religiösen Gemeinschaft bekennt. Nein, Sie ist der ganz persönliche individuelle Ausdruck des Glaubens an die Erlösung durch Christus, indem man bekennt und anerkennt ein Sünder und damit auf Jesu Loskaufsopfer angewiesen zu sein.
Deshalb ist die Taufe die an Gott gestellte Bitte um ein reines Gewissen auf der Grundlage des Opfers Jesu. 1. Petrus 3:21
Keiner ist jemand anderem für irgendetwas rechenschaftspflichtig, außer seinen Nächsten zu lieben und sich einzig dem Urteil Christi zu unterstellen. Deine, von christlicher Nächstenliebe geprägte Lebensführung ist DEIN persönliches Zeugnis. Niemand anders, kein Mensch auf dieser Erde, darf dieses öffentliche Bekenntnis für Gehorsams- oder Loyalitätsforderungen gegenüber einer menschlichen Organisationen missbrauchen und damit die Mittlerrolle des Christus entwerten und sein Verhältnis zu ihm in Frage stellen.
Wer sich dazu entschließt als Zeuge Jehovas getauft zu werden, sollte daran denken, dass er in der großen Gefahr steht, wie ein Unmündiger sich jeder beliebigen Lehrmeinung des “treuen und verständigen Sklaven” zu unterwerfen. Bis er merkt, dass er auf geschickte Täuschungsmanöver hinterlistiger Menschen hereingefallen ist, die ihn von Christus trennen möchten, kann es oft schon zu spät sein.
Er selbst wird Dir beistehen, wie es die Worte des Paulus an die Epheser so treffend bezeugen: “Dadurch werden wir im Glauben immer mehr eins werden und den Sohn Gottes immer besser kennen lernen. …Dann sind wir nicht länger wie unmündige Kinder, die sich von jeder beliebigen Lehrmeinung aus der Bahn werfen lassen und die leicht auf geschickte Täuschungsmanöver hinterlistiger Menschen hereinfallen. Stattdessen wollen wir die Wahrheit in Liebe leben und zu Christus hinwachsen, dem Haupt der Gemeinde.” Epheser 4, 13-15 (Hoffnung für alle)
Hallo Hubert,
tolle Schlusssatzrichtigstellung, sehe ich auch so! Lg.Sonja