Opfer für Gott oder für eine Organisation?

Kommentar zum zweiten Studienartikel mit dem Titel „Welche Opfer bringen wir für das Königreich?“ im WT vom 15.12.2013 ab Seite 11, der in den Versammlungen für die Woche vom 10. bis 16. Februar zur Betrachtung ansteht. Von Bruder W.F.

Der Leittext wurde aus 2. Kor. 9:7 entnommen: „Gott liebt einen fröhlichen Geber“ – und die WTG tut das auch, erlauben wir uns zu ergänzen. Schon muss man sich fragen, weshalb hier denn der erste Teil des Leittextes wieder weggelassen wurde? „Jeder tue so, wie er es in seinem Herzen beschlossen hat, nicht widerwillig oder aus Zwang,… dann erst folgt der b-Teil des Verses:denn Gott liebt einen fröhlichen Geber.“

bb_112_02Vorbemerkung: Die WTG verlässt sich beim Thema „Geben“ ganz offenkundig lieber nicht nur auf die Freiwilligkeit ihrer weltweiten Geber. Was die Gaben ihrer Schützlinge angeht, handelte sie noch nie halbherzig. Wurde man in der Vergangenheit auch nicht in dieser schon penetranten Weise zum Spenden gedrängt, so sprachen die Kubikmeter großen Kartons mit der Aufschrift „Spenden für das Königreichswerk“, die in den Rängen des Stadions aufgestellt waren, schon vor 30 und mehr Jahren ihre eigene Sprache.

Wer sich nicht in der Rolle des fröhlichen Gebers sieht, wird auch nichts geben, wenn ihn sein Herz dazu nicht veranlasst. Dagegen kann auch von biblischer Seite nichts eingewandt werden. Daher ist es nicht in Ordnung, wenn ein solcher Druck aufgebaut wird, dass er am Ende meint, doch noch etwas geben zu müssen, nur um mit den andern mithalten zu können.

Über 18 Abschnitte hinweg wird man nicht müde, die Brüder nicht nur an die Wahrnehmung der Königreichsinteressen zu erinnern, wovon, wie sie sagen, ihr ewiges Heil abhänge, nein man geht einen Schritt weiter und kommt recht unverblümt zum Kern des eigentlich eher profanen Anliegens, nämlich zum Thema Geldspenden. Man weist nachdrücklich darauf hin, dass sich etwa Rotationspressen oder Bauvorhaben nicht alleine mit Luft finanzieren lassen. Darüber vergisst man wohl ganz, dass solche weltweiten Spendenaufrufe zumindest hier in Deutschland den Auflagen für die Gemeinnützigkeit einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) entgegen stehen. Der dabei erzeugte Druck lässt sich auch nicht mit der biblischen Empfehlung vereinbaren, die Glaubenden selbst gemäß ihrem Herzenswunsch entscheiden zu lassen. Daher schreibt man ja auch bereits den Part im Leittext nicht aus, der beim Geben die Freiwilligkeit zugrunde legt. Man weiß also genau, dass man sich dann eben auch die restlichen Abschnitte sparen könnte, wo eben genau gegen dieses Prinzip verstoßen wird. Das ist einfach unredlich.

Die Frage ist also, wie schafft man es, dass die Brüder das, was die WTG will, dass sie es tun, auch noch gerne tun? – Zum besseren Verständnis dürfen wir den Begriff „Königreich“ ruhig gegen „Organisation“ austauschen.

Kommen wir nun zum 1. Abschnitt, und wir erkennen, dass man schon im ersten Satz nicht ohne den Schlüsselbegriff „Opfer“ auskommt. Eltern, junge Sportler, Jesus und seine Jünger brachten Opfer für das, was ihnen am wichtigsten war, wird hier erklärt. Während wiederum andere, die einfach nur das tun, wozu sie gerade Lust haben, untätig und nutzlos herumstehen.

Versteht man noch den Zusammenhang im Falle der Predigttätigkeit Jesu nach dem angegebenen Text aus Mat. 4:17, so grübeln wir spätestens über der Absicht des WT-Schreibers beim Text aus Luk. 9:58: Jesus antwortete ihm: “Die Füchse haben ihren Bau, die Vögel ihre Nester, aber der Menschensohn hat keinen Platz, an dem er sich ausruhen kann.”

Wir sind uns da nicht ganz sicher, ob unser achtköpfiges Leitungsgremium in Brooklyn ihre Nacht gerne in einem Fuchsbau zubringen würde. Kleiner Scherz. Es kann doch nicht falsch sein, wenn wir uns das Beispiel Jesu vor Augen halten, nicht wahr? Will die WTG uns damit sagen, dass man auch ohne feste Behausung und Bett leben kann für den Fall, dass man alles zu Geld macht und es der Gesellschaft spendet?

Offensichtlich erkennt man bei uns noch einige Reserven, auf die wir doch sicher gerne verzichten würden, um sie gegen ein gutes Gewissen eintauschen zu können. – Nach den weiteren Ausführungen zu urteilen, scheint diese Überlegung nicht zu weit hergeholt zu sein. Um jedes Missverständnis gleich von vornherein auszuschließen, stellt der Sklave im Abschnitt 2 daher Folgendes klar, und ist wieder einmal dabei, die Trumpfkarte seines Leistungsevangeliums auszuspielen:

Jeder wahre Christ muss bestimmte Opfer bringen. Sie sind unerlässlich, um ein gutes Verhältnis zu Jehova aufzubauen und es zu bewahren. Zu diesen Opfern gehören die Zeit und die Kraft, die man für Gebet, Bibellesen, Familienstudium, Zusammenkunftsbesuch und Predigtdienst einsetzt (Jos. 1:8; Mat. 28:19,20; Heb. 10:24, 25). – Sehr schön. Mit dieser Feststellung erntet man weltweit sicher nur zustimmendes Kopfnicken und hat das Herz der Untertanen schon einmal auf Temperatur gebracht.

Ja, da gibt es kein Vertun. Man weiß, was sich gehört, und stellt zunächst einmal die geistigen Interessen allem voran, bis man sich schließlich zu diesem unvergleichlichen und atemberaubenden Satz im Abschnitt 3 hinreißen lässt, den man sich als Spruch an die Wand heften sollte:

„Noch nie konnte man Gottes Königreich so sehr unterstützen wie heute. Wie schön, dass viele gern für Jehova Opfer bringen!“

 Wir wollen hier aber gleich dem Verdacht entgegenwirken, als würden wir uns über das Thema „Opfer für Gott“ und besonders zur Unterstützung Bedürftiger negativ äußern wollen. Vielmehr stellen wir hier Folgendes fest:

Aus dem Herzen kommende freiwillige Opfer nach Maßgabe der eigenen individuellen Glaubensüberzeugung und des eigenen Kenntnisstandes und ohne dass uns jemand ständig einflüstern müsste, was wir nach Meinung anderer zu tun hätten, sind konform mit dem gesamtbiblischen Tenor zum Thema „Spenden und Opfer bringen“. Der Leittext in 2. Kor. 9:7 bringt es ja auf den Punkt, wenn man sich nur trauen wollte ihn vollständig wiederzugeben: „Jeder gebe, wie er sich in seinem Herzen vorgenommen hat: nicht mit Verdruss oder aus Zwang, denn einen fröhlichen Geber liebt Gott.“ Elberfelder

Doch dabei kann es die WTG nicht bewenden lassen, da muss sie einfach deutlicher werden. Im Abschnitt 3 hebt man deshalb mahnend den Zeigefinger und redet wie zu unmündigen Kindern, die mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund der Dinge harren, die sie da von ihrem Vormund zu hören bekommen:

„Wir alle sollten uns genau prüfen: Können wir noch weitere Opfer für das Königreich bringen? Wie setzen

wir Zeit, Mittel, Kraft und Fähigkeiten ein? Wovor müssen wir uns hüten?“ Der Sklave meint es doch nur gut mit (sich) euch.

Dann, wie könnte es anders sein, springt man mitten ins Opfergeschehen des Volkes Israel hinein, das sich für die Absicht des Sklaven wie maßgeschneidert anbietet. Warum sollte man die vorschattenden Opfergaben, die zwar mit Christi Opfer ihren Höhepunkt und Abschluss gefunden hatten, nicht als Vorbild in die Neuzeit hinüberretten, wo sie sich doch so hervorragend dafür eignen, die Brüder auf die vornehmste Aufgabe von Spendenopfern einzuschwören. Alles gibt man für Jehova und sein Königreich, in das doch jeder „hinüberleben“ will, nicht wahr?!

Mit den Abschnitten 4 und 5 schlägt man endlich den altbekannten Bogen von der Antike in die Gegenwart: „Opfer waren nötig, damit das Volk die Gunst Jehovas behielt.“ Nach Abschnitt 4 waren „die Opfer bei der Einweihung des salomonischen Tempels ein herausragendes Beispiel“. Mit dem Abschnitt 5 lässt der Sklave gar sein unvergleichliches Einfühlungsvermögen und Verständnis für unsere Verhältnisse durchschimmern, wenn er hier feststellt: „Jehova berücksichtigte liebevoll, dass nicht jeder das Gleiche darbringen konnte, und verlangte nur Opfer, die den Möglichkeiten des Einzelnen entsprachen. Jehova nahm auch Turteltauben an. Die Opfertiere konnten also unterschiedlich sein.“

Die Spenden dürfen also ruhig unterschiedlich sein, der Sklave – oder war es Jehova? – freut sich über jeden Scheck. Wir werden diesen realen Bezug zum „schnöden Mammon“ im weiteren Verlauf der Darlegungen noch früh genug erkennen. Nur dürfen wir jetzt nicht denken, es reiche etwa schon aus, wenn wir ein freiwilliges Opfer bringen. – Was jetzt am Ende des Abschnitts 5 beginnt und im folgenden Abschnitt näher ausgeführt wird, ist einer weiteren Betrachtung wert: Dem Buchstaben nach werden hier die Vorgehensweisen zur Erlangung der Reinheit des opfernden Israeliten über sein Sündopfer auch korrekt beschrieben. Damals musste man erstens „das Beste geben“ (ein gesundes Tier) und „zweitens musste der Opfernde rein und unbefleckt sein“.

Das Perfide daran ist hier nur, wie geschickt man diese damals gültigen Vorschriften in das große Thema rund ums Opfern und Spenden in die heutige Neuzeit nach Jesu Opfertod einbettet! Nehmen wir hier noch die wichtigsten, lose über die Abschnitte verteilten gedanklichen Brückenpfeiler in Form von harmlos daherkommenden Sätzen hinzu, und wir erkennen, in welche Denkrichtung man den WT-Studiosus lenkt:

 1. „Jeder wahre Christ muss bestimmte Opfer bringen. Sie sind unerlässlich, um ein gutes Verhältnis zu Jehova aufzubauen und es zu bewahren. … Da Jehova unsere Anstrengungen segnet, kommt das Predigen voran…“ 1. Satz im Abschnitt 2

2. „Opfer waren im alten Israel die Grundlage für Sündenvergebung. Sie waren nötig, damit das Volk die Gunst Jehovas behielt.“ Anfang Abschnitt 4

3. „Auch heute … müssen die Spender zwei Voraussetzungen erfüllen, … damit ihr Bestes, das sie bereitwillig geben, Jehova erfreut.“ – Unzulässige Anknüpfung zur Reinheit des Opfernden heute!

Manipulationsbogen in nur 3 Schritten abgeschlossen:Dann tut der stille unsichtbare Dolmetscher im Denkstübchen seine Arbeitet, und was dabei herauskommt, liest sich ungefähr so:  „Das alles überragende Opfer Jesu zur Vergebung von Sünden lassen wir jetzt mal beiseite, das stört nur bei unserer Betrachtung. Da müssen wir eben selber Opfer bringen, um so rein zu sein wie die Israeliten und um Jehova zu gefallen; das ist halt die Grundlage zur Sündenvergebung. Unsere Anstrengungen tilgen unsere Vergehungen, machen uns rein und bringen nebenbei noch das Predigen voran. Nicht nur damals…, nein, auch heute geben viele zur Freude Jehovas bereitwillig ihr Bestes.“

So bringt man die lieben Brüder unterschwellig und ganz mühelos mit nur wenigen „Rösselsprüngen“ in die richtige Stimmung. Stolz, zufrieden und mit vor Dankbarkeit überfließendem Herzen darf man sich neben die Guten der alten Zeit einreihen. Gerne kehrt man dann alle seine Taschen nach außen und gibt. Das Beste, was ein Mensch besitzt, sind seine positiven Eigenschaften wie Loyalität, Liebe, Vertrauen, Tatkraft, Hilfsbereitschaft und nicht zuletzt natürlich sein Besitz und sein Geld. Gib es „Jehova“ oder dem „Sklaven“, das ist völlig einerlei, er freut sich darüber! Und willst du spenden, dann lass‘ den Verwendungszweck ruhig offen, wir lösen deinen Scheck dort ein, wo Hilfe Not tut!

Die ungeahnten Möglichkeiten der Manipulation ausschöpfen: Wenn jemand erst einmal zulässt, dass die Gedanken unbemerkt in Herz und Sinn ihren Widerhall finden, beginnt die Verankerung, bis er schließlich angeleint ist! Wie reißfest diese Leine ist, merkst du daran, wie heftig er sein liebgewordenes Konstrukt gegen Kritik verteidigt. Eine solchermaßen infiltrierte Truppe kann man über Jahrzehnte, wenn nicht gar ihr ganzes Leben lang „bei der Stange halten.“ Du musst sie nur regelmäßig „unterweisen“ (betäuben), reichlich beschäftigt halten und immer wieder loben. Stellst du es dann geschickt an, werden sie dir ihr Vermögen sogar dankbar hinterher tragen. Und wenn jemand versuchen sollte, solchen Leuten die groben Webfehler des biblischen Strickmusters in ihren Wachttürmen aufzuzeigen, wird er scheitern. Ihre aufkeimende innere Bestürzung, die sie überkommt, wenn sie die dunkle Seite des Manipulationsmusters erahnen, dem sie erlegen sind, wird ihren geistigen Selbsterhaltungstrieb wecken, und sie werden den Kontakt mit dir schnell abbrechen. Schließlich ist keiner daran interessiert, wenn man soeben mal sein Weltbild zerstört. Mit der Praxis des Ausschlusses oder des „Bezeichnet-Haltens“ ist die Truppe schließlich gänzlich gegen Störeinflüsse von außen abgeschirmt und horcht dann fortan nur noch auf dein und nicht mehr auf Gottes Wort, ein Merkmal bei allen orthodoxen Kirchen. Wer könnte wohl hinter dieser ausgefeilten Taktik stehen?

Noch einmal: Da kommt ein solcher Studienartikel doch ganz harmlos mit einfachstem Satzbau und geschickt eingestreuten biblischen Textfragmenten, mit scheinbarer Offenheit, Aufrichtigkeit und grundehrlich erhobenem Zeigefinger daher, und setzt dich, wenn du nicht alles nachprüfst und aus der Distanz betrachtest, geistig einfach schachmatt! In Wirklichkeit handelt es sich auch im vorliegenden Studienartikel um ein ausgefeiltes Machwerk meisterhafter Manipulation, in welchem die subtilen Techniken unterschwelliger Beeinflussungstechniken außerordentlich gut durchdacht und was ihre Wirkung anlangt, bis ins Kleinste optimiert und ausgefeilt wurden.

Kehren wir zurück zu unserem Wachtturmartikel, in dem wieder einmal sämtliche Register zur Entfachung der Begeisterung und zur Spenden-Bereitschaft gezogen werden. –

Abschnitt 6 endet mit dieser Bemerkung:

„Doch wer Jehova wohlgefällig war und ein makelloses Opfer darbrachte, hatte allen Grund glücklich und zufrieden zu sein.“ Der Sklave reißt uns in seiner überschäumenden Begeisterung für die gute Sache förmlich mit, er reicht uns gleichsam seine Hand und lädt uns ein uns doch auch zu diesen begnadeten Menschen zu gesellen. Wenn du jetzt in einem fortgeschrittenen Stadium deiner freudigen theokratischen Stimmung angekommen, noch Chronika 29:9 liest, wirst auch du deinen Geldbeutel öffnen und in Willigkeit die zahlreichen Tempelbauten der WTG unterstützen wollen. „Das ganze Volk freute sich über diese Freigebigkeit, denn alle wollten von ganzem Herzen den Tempelbau unterstützen. Auch König David freute sich sehr darüber.“ Hfa

Freilich hast du gar nicht bemerkt, wie deine Begeisterung für das Programm des Sklaven und eben nicht für Christus, den Vervollkommner des Glaubens, geweckt wurde. Du hast dann auch keinen Nerv, dir erklären zu lassen, dass hier völlig zusammenhanglose Aussagen und Begebenheiten in einen neuen Zusammenhang gebracht wurden, die mit dem von Jahwe und seinem Sohn aufgezeigten Weg nichts mehr zu tun haben. Du sitzt in einem Boot, das längst vom Ufer abgetrieben wurde und merkst es nicht einmal. – „Seine Anschläge sind uns nicht unbekannt.“

 Liebe Brüder, merkt ihr denn gar nicht, wie der Sklave hier den salomonischen Tempelbau eins zu eins auf die WT- Gesellschaft überträgt und die einst freiwilligen Spenden der Israeliten direkt für seine Absicht gebraucht? Als wolle er sagen, „komm und lass uns viele weitere Tempel bauen und beteilige dich mit deiner Spende daran!“ Dann fallen dir auch die offenkundigen Widersprüche und die Distanzlosigkeit nicht mehr auf, mit welcher der Sklave an jeden einzelnen herantritt:

a) du musst freiwillig spenden (freiwillig etwas tun zu müssen ist schon ein Widerspruch in sich selbst)

b) und dabei das Äußerste deiner Möglichkeiten ausloten, um dein Opfer annehmbar zu machen

Mit dem Abschnitt 7 sind wir endlich wieder in der Gegenwart angelangt, und man stellt „im Ton väterlichen Wohlwollens“ fest:

„Auch heute geben viele bereitwillig ihr Bestes für Jehova und er freut sich darüber. Unseren Brüdern zu dienen tut uns gut.“ Dann hebt man die unaussprechliche Freude hervor, die man beim Bau von Königreichssälen empfindet, und wie froh man sei, die Brüder glücklich und dankbar zu sehen.

Im Abschnitt 8 endlich wird man konkreter, wenn C.T. Russel feststellt, dass: „sich ein jeder … als bloßer Verwalter seiner Zeit, seines Einflusses, seines Geldes betrachten und darauf bedacht sein soll, dies alles nach Kräften zur Ehre des Herrn zu verwenden“.

Auf diese elegante Weise und den kleinen Umweg über die Gründerjahre der WT-Gesellschaft traut man sich endlich, das Wort „Geld“ aus dem Munde C.T. Russels zu zitieren. So wird man behutsam über die Israeliten, die frühen Christen, den Apostel Paulus und einen „Treuen der Neuzeit“ an das eigentliche Anliegen herangeführt, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.

Abschnitt 9 bietet wirklich „Erquickliches“: Es geht um die kostbare Zeit, und dass in den Tag – daran ist nun schwerlich etwas zu ändern – bedauerlicher Weise nur 24 Stunden hineingingen, doch bietet der Sklave uns hier eine Lösung an und erklärt: „Jesus gab eine Anweisung, die uns hier weiterhelfen kann.“ … und die man, so könnten wir hier fortfahren, einfach in den angegebenen Text nach Luk. 10:2-4 hineininterpretiert.

Hier nimmt man Bezug auf „einen Bibelkommentar“, zu dem man weder den Autor noch die Herkunft nennt, der uns aber über die „zeitraubenden Begrüßungszeremonien der damaligen Orientalen“ aufklärt und fährt dann fort: „Sie sollten erkennen, dass sie nicht unbegrenzt Zeit hatten, und diese so gut wie möglich für die wichtigeren Dinge nutzen [sollten]. Können wir uns noch enger an diesen Grundsatz halten, um mehr Zeit für das Königreich zu haben?“ –Nein, das können wir nicht, da kaum anzunehmen ist, dass sich Jesus bereits im Vers 7 widerspricht, wenn er dort sagt: „Bleibt also in jenem Haus, esst und trinkt, was sie bereitstellen, denn der Arbeiter ist seines Lohnes würdig. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes um.“

Wenn schon die orientalischen Begrüßungsrituale „zeitaufwendig“ waren, um wie viel mehr erst ein orientalisches Gastmahl! Dann hatte Jesu Anweisung wohl kaum mit Zeitersparnis zu tun. Das kümmert den Sklaven nicht weiter; er schreibt’s halt mal rein, es wird wohl die wenigsten stören.

Dass Grundsätzen die unschöne Eigenschaft eines unumstößlichen Gesetzes anhaftet, dessen Gültigkeit nicht verhandelbar ist, hat man längst verinnerlicht. Da haben wir es also schon wieder mit einem Grundsatz zu tun, nämlich keine wertvolle Zeit mit unnützen Tätigkeiten zu vergeuden. – Oder ist die Zeit schon wieder so knapp, weil man den nächsten Termin für ein nahes Harmagedon ins Auge gefasst hat?

Wie streng der Sklave doch mit uns umgeht, wenn er uns seine Königreichsinteressen diktiert! Genau genommen sind doch die Brüder die Sklaven, und der „Sklave“ ist der eigentliche Herr, zumindest lässt das sein Ton vermuten. Ständig klärt er uns darüber auf, was wir in jeder Minute unserer freien Zeit zu tun hätten, bis wir darüber wirklich keine freie Zeit mehr haben. Und besonders verständig ist er auch nicht, wenn er die Daumenschrauben immer noch ein bisschen mehr anzieht. Stichwort hier. Rehabeams Berater und die Folgen.

Endlich dann, im Abschnitt 10 rückt unser Sklave mit seinem eigentlichen Anliegen heraus. Er geniert sich wohl doch ein wenig vor sich selbst, wenn er den halben Studienartikel damit verdattelt, alle Heiligen daraufhin abzuklopfen, inwieweit sie sich als Plattform für ihre Bettelei eignen könnten.

„Für das Königreichswerk sind erhebliche Mittel nötig“,stellt man sodann lapidar im Abschnitt 10 fest. Endlich rückt man mit Zahlen heraus. Wer die Grundrechenarten beherrscht, wird auch ganz schnell ausrechnen können, was der Sklave für ein Monatsbudget zu bedienen hat und was da so an erforderlichen Spenden pro Verkündiger-Nase zusammenkommt. Ja, da hat man doch in 15 Jahren glatt 24.500 Königreichssäle gebaut, und das nur allein in den ärmeren Ländern! Und dann werden da nochmals „fast 6400 Säle gebraucht“. Ja, und alle diese 24.500 Säle wurden bereits durch Spendengelder finanziert und sind jeweils elegant in den Besitz der WTG übergegangen, da sie nun einmal als Eigentümerin im Grundbuch steht.

Im Abschnitt 11 heißt es aufgepasst! Jetzt hat der Apostel Paulus doch tatsächlich schon wieder die Vorlage für einen neuen „Grundsatz“ geliefert. Wir kennen alle den Text aus 1. Kor. 16:1, 2: Paulus bittet die Brüder, die Bedürftigen in der Jerusalemer Versammlung finanziell zu unterstützen und legt ihnen nahe, dafür schon zu Wochenbeginn etwas zurückzulegen, damit nicht jeder erst in seinem Lederbeutel nach Dinaren und Sesterzen kramen muss, wenn er sie wieder besucht. Hier die Erklärung, die unser Herz erfreut:

„Unter Inspiration regte er die Brüder in Korinth an, nicht abzuwarten, was am Ende einer Woche übrig bleibt, sondern gemäß ihren Möglichkeiten schon zu Beginn der Woche etwas zurückzulegen. Wie im ersten Jahrhundert planen auch heute Brüder und Schwestern im Voraus, ihren Verhältnissen entsprechend großzügig zu geben.“

Unser Sklave überrascht uns immer wieder mit einem doppelten Salto rückwärts, wenn er jetzt aus der simplen Empfehlung des Paulus einen Grundsatz – unter „Inspiration“ hervorzaubert.

In den Abschnitten 12 und 13 zieht man den Hebel der Obstpresse nochmals um zwei Zacken weiter an. Ja, Jehova weiß doch genau, dass da immer noch was geht; springen die Wachtturmathleten derzeit 2 Meter hoch, so legt man die Messlatte jetzt auf 2 Meter 30.

„Können wir unser Herz auf unsere Wege richten und in den heutigen letzten Tagen einen größeren Anteil am Königreichswerk haben?“ Seit über 130 Jahren wollen diese „letzten Tage“ einfach nicht enden; egal, „letzte Tage“ und „neues Licht“ sind die Triggerworte, die den Brüdern immer wieder neue Spannkraft verleihen und sie zur Höchstform auflaufen lassen.

Es geht ums Ganze: Zur Verausgabung im Predigtdienst gesellen sich jetzt noch finanzielle Kraftakte, an welchen der Sklave erkennen kann, wie wichtig der einzelne Verkündiger den gesicherten Einzug in Jehovas Königreich nimmt.

Bei den Abschnitten 14 und 15 kullern mitfühlenden Gemütern doch glatt die Tränen über die Wangen:

Viele Menschen leben in Ländern, wo das Leben von Not und Armut geprägt ist. Unsere Organisation versucht, dem Mangel der Brüder dort „abzuhelfen“.

Im Abschnitt 15 helfen die Brüder ihrer Not allerdings selbst ab: „In einem sehr armen afrikanischen Land haben Brüder einen kleinen Teil ihres Gartens abgesteckt und nutzen die Einkünfte aus dem Verkauf der Ernte zur Unterstützung des Königreichswerks. Im selben Land sollte ein dringend benötigter Königreichssaal gebaut werden und die Brüder und Schwestern am Ort wollten unbedingt mithelfen. Allerdings fiel der Bau mitten in die Pflanzzeit. Doch das hielt sie nicht von ihrem Vorhaben ab. Tags über arbeiteten sie am Königreichssaal und abends bepflanzten sie ihre Felder. Was für eine Opferbereitschaft! Das erinnert an die Brüder in Mazedonien im ersten Jahrhundert. Obwohl sie in „tiefer Armut“ lebten, baten sie darum, für ihre Brüder spenden zu dürfen (2. Kor. 8:1-4). Mögen auch wir „entsprechend dem Segen Jehovas“ geben.

Den fettgedruckten Textverweis auf 5. Mose 16:17 geben wir hier aus der Hfa wieder: „Jeder soll so viel geben, wie er kann, je nachdem, wie reich der Herr ihn beschenkt hat.“ Und wieder fordert mit dem Nachdruck göttlicher Autorität noch mehr Spendengelder von den Mitgliedern ein, denn nur zu diesem einen Zweck wurde dieser Artikel verfasst. Man baut darauf, dass sich jeder Einzelne von seinem schlechten Gewissen freikaufen wird, nachdem der „göttliche Zeigefinger“ gleichsam auf seine materiellen Reserven deutet, mit der unmissverständlichen Aufforderung sich davon zu trennen.

Zum einstigen Ablasshandels ist es da nicht mehr weit: Man lässt für Geld Messen lesen und bekommt die Eintrittskarte zum Himmel, hier spendet man das letzte Hemd und bekommt den Bon fürs Königreich. Zwei scheinbar verschiedene Vorgehensweisen aus derselben verdorbenen Quelle.

Jetzt tritt der Sklave als besonnener Ratgeber auf und hebt im Abschnitt 16 wieder einmal mahnend seine Hand: „Doch ein Wort zur Vorsicht. Wie die Israeliten aus alter Zeit müssen auch wir darauf achten, dass unsere freiwilligen Opfer Gott annehmbar sind.“ Diese Heuchelei ist wirklich kaum noch zu ertragen, und dann fährt man in der Pose des umsichtigen Gutmenschen mit von Besorgnis gefurchten Stirnfalten fort:

„Wir haben in erster Linie Verpflichtungen gegenüber unserer Familie und in der Anbetung Jehovas. Deswegen müssen wir ausgeglichen bleiben. Auch wenn wir Zeit und Mittel für andere einsetzen, sollte das nicht dazu führen, dass wir die geistige Gesinnung oder das Wohl unserer Familie vernachlässigen.“

Man gibt sich als weiser und erfahrener Mahner, verständnisvoll, umsichtig, die Dringlichkeit der Zeit erkennend, um jeden einzelnen besorgt, um jede Seele ringend und nicht zuletzt als wendiger Textakrobat, wenn es darum geht, Gottes Wort aus dem Zusammenhang zu reißen und es für die eigenen Ziele in einen völlig neuen Kontext zu stellen.

In Wirklichkeit ist es dem Sklaven freilich völlig einerlei, ob du deine Spenden nun „gebetsvoll“ und nach tiefgründigen Erwägungen an die Gesellschaft überweist, Hauptsache du begreifst endlich, dass das WT-Imperium dein Geld braucht.

Wir möchten an dieser Stelle nochmals mit allem Nachdruck betonen, dass die biblischen Ausführungen zum Thema Geben oder Spenden in Verbindung mit der reinen unverfälschten Anbetung aufrichtiger Diener Gottes, die sich von seinem Geist leiten lassen, ihre volle Berechtigung hat! Dann sollten wir diese Textpassagen aber auch nicht aus dem Zusammenhang reißen, wie es der „Sklave“ mittlerweile auf bravouröse und geradezu atemberaubende Weise praktiziert.

Man beachte die bedenkenlose Unbekümmertheit im Umgang mit Gottes Wort. Dagegen kann sich selbst ein Paulus nicht wehren. Lesen wir den angegebenen Text aus 2. Kor. 9:26, 27 nach der Hfa: „26 Ich weiß genau, wofür ich kämpfe. Ich laufe nicht irgendeinem ungewissen Ziel entgegen. Wenn ich kämpfe, geht mein Schlag nicht ins Leere. 27 Ich gebe alles für diesen Sieg und hole das Letzte aus meinem Körper heraus. Er muss sich meinem Willen fügen. Denn ich will nicht andere zum Kampf des Glaubens auffordern und selbst untauglich sein.“

Paulus hätte seine letzten Reserven nie für eine Organisation wie die WTG gegeben, da können wir sicher sein! Seit nunmehr 135 Jahren driftet der „treue und verständige Sklaven“ von Christus und seinem Weg der Wahrheit ab, aber die Brüder fühlen sich außerstande, die Fakten auch nur einmal unvoreingenommen nachzuprüfen, da ihr Unterscheidungsvermögen einfach zu sehr gelitten hat.

„Unsere Opfer sind von großem Wert“ lautet das Unterthema zum Abschnitt 17, das neben der Bedeutung des Opfers auch den Opfernden selbst als bedeutend einstuft und ihn ehrt. Wenn du jemandem etwas entlocken möchtest, das er sonst nicht gerne hergibt, lobe ihn, loben ist die beste Medizin.

Der Verfasser dieses Artikels gönnt seinen Lesern bei diesem Text aus Philipper 2:17 zumindest die beglückende Vorstellung, sich als der Paulus fühlen zu können, den Christus einst als Gesandten an seiner Statt berufen hatte, wenn er schreibt: „Viele Brüder und Schwestern gießen sich wie ein Trankopfer aus und unterstützen das Königreich, wo immer es geht.“– Ach, wie peinlich, ach, wie anrührend! – Hier der zugrunde liegende Text: „Und selbst wenn ich sterben muss und mein Blut wie Opferblut vergossen wird im Dienst für euren Glauben, so bin ich doch voller Freude. Ja, ich freue mich mit euch allen.“ Hfa – Paulus hätte sein Leben nie für die Ziele einer menschlichen Organisation weggeworfen, die es wagt sich zwischen uns und dem Christus zu stellen.

Ihr wisst ja, Brüder, dass mehr Glück im Spenden liegt als im Nehmen – dann beißen wir eben in den sauren Apfel und übernehmen den beschwerlicheren Part des Nehmens. Wie kann euch denn sonst das Glück des Gebens zuteilwerden, wenn keiner nimmt?

„Alle, die so freigebig sind, werden sehr geschätzt. Auch die Frauen und die Kinder der Brüder, die im Königreichswerk vorangehen, verdienen ein Lob für ihre Großzügigkeit und Opferbereitschaft.“ – Ach, ihr seid ja alle so lieb…

Mit dem Abschnitt 18 müssen wir uns von den Ermunterungen des Sklaven, fleißig zu spenden und unser Äußerstes zu tun, nun leider wieder verabschieden. Und damit die religiösen Emotionen, die unsere Spendenfreudigkeit beflügeln, nicht einschlafen, bringt man noch einmal die begehrte Belohnung ins Spiel:

Ganz sicher werden wir heute schon für unsere Opfer belohnt — und noch mehr im „kommenden System der Dinge“. Mar. 10:28-30

Nehmen wir ruhig den Vers 21 noch dazu, um die Begebenheit abzurunden: Den Jüngern wurden Segnungen in Aussicht gestellt, die davon abhingen, dass sie Jesus nachfolgten. Man sollte den Reichtum an bedürftige Arme, aber nicht an eine reiche Kirchenorganisation abgeben. Und von einer Belohnung für Verdienste um das Wohlergehen dieser Organisation Jehovas war da ebenfalls nicht die Rede.

Ja, lieber Leser, wie viele Beispiele sollen wir dir auf dieser Site noch anbieten, bis du selbst erkennen kannst, dass an der regelmäßigen eigenen Betrachtung der Bibel und am Nachdenken über das Gelesene nichts vorbeiführt. Da hilft uns der Wachtturm einfach nicht weiter. Hüten wir uns vor jedem Strickmuster irgendeiner organisierten Religion und ihren vorgekauten Anleitungen zu einem angeblich besseren Verständnis über den Vorsatz unseres himmlischen Vaters und seines Sohnes Jesus Christus.

 

 

 

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