Europäischer Gerichtshof entscheidet – Zeugen Jehovas müssen EU-Datenschutzrichtlinie einhalten 

General view of the buildings of the Court of Justice of the European Communities

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat am 10. Juli 2018 entschieden, dass Zeugen Jehovas sich an die EU-Datenschutzrichtlinien halten müssen. Dies betrifft vor allem die Missionierung an den Türen und damit einhergehend das Anfertigen von Notizen, was eine Form der Datenverarbeitung darstellt. Die Religionsgemeinschaft sei, gemeinsam mit ihren als Verkündiger tätigen Mitgliedern für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten verantwortlich, heißt es im Urteil.

Im September 2013 entschied die Datenschutzkommission aus Finnland, dass die Zeugen Jehovas personenbezogene Daten von Hausbesuchen nur erheben und verarbeiten dürfen, wenn sie sich an die rechtlichen Bestimmungen halten. Die Zeugen Jehovas klagten gegen diese Auflage, der Fall wurde an den EuGH weitergereicht.

Zeugen Jehovas argumentieren, sie machten zwar Notizen zu Namen, Anschriften und Datum des jeweiligen Besuchs, teilweise auch zum Inhalt der geführten Gespräche. Jedoch soll es sich dabei um rein persönliche Notizen der Mitglieder handeln. Die Gemeinschaft als solche erstelle weder eine Datei im Sinne des Datenschutzgesetzes noch greife sie darauf zu.

Hierzu möchte ich auf einen Artikel des Kölner Express hinweisen, der kürzlich über eine groß angelegte Offensive der Zeugen schrieb. Anwohner berichteten, dass Zeugen Jehovas zuhauf im Kölner Süden ausschwärmten und an den Türen klingelten. Die Wohnungsinhaber beobachteten durch die Türspione, wie die Zeugen etwas auf Zetteln notierten.

Ein Sprecher der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Zeugen Jehovas bestätigte auf EXPRESS-Anfrage, dass es eine groß angelegte Predigt-Aktion im Raum Köln gegeben hat. Warum dabei Namen notiert worden sind, konnte er sich allerdings nicht erklären. Dies sei keine Anordnung der Religionsgemeinschaft, hieß es.
Zeugen Jehovas sorgen für Aufruhr − das sagt die Kölner Polizei

Während der Sprecher der Zeugen Jehovas sich nicht erklären konnte, warum man Namen notierte – immerhin war das neue Datenschutzgesetz bereits in Kraft getreten – führten Zeugen Jehovas vor dem EuGH einen Rechtsstreit, weil sie indirekt gerne weiterhin Namen notieren wollen.

Obwohl jeder Verkündigen weiß wie viel Wert und Nachdruck die WTG auf Notizen legt, und auch ermuntert diese Notizen weiter  an andere Verkünder weiter zu geben welche die Nacharbeit durchzuführen haben, behauptet sie öffentlich, “Dies sei keine Anordnung der Religionsgemeinschaft”. Damit hat der einzelne Verkündiger eine Verletzung der Datenschutzverordnung alleine zu verantworten.

Die Religionsgemeinschaft hat sich auch mit § 13 Grundsätze ihrer Neufassung des Statuts “des Wirkens, geistliche Ämter” abgesichert.

(1) Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit eines jeden Zeugen Jehovas sind grundlegende Prinzipien der Religionsgemeinschaft. Alle Dienste werden aus religiös motivierter Freiwilligkeit geleistet in dem Bewusstsein, dass es sich dabei um heiligen Dienst zur Ehre und Ver- herrlichung Gottes handelt. Von Gott in den verschiedenen Diensten gebraucht zu werden wird von jedem Zeugen Jehovas als Auszeichnung betrachtet. Dies gilt insbeson- dere für den Predigtdienst, den jeder Zeuge Jehovas als persönliche mit seinem Hingabegelübde gegenüber Jehova Gott übernommene Verpflichtung (1. Korinther 9:16; 2. Korinther 4:13; Galater 6:5) durchführt.

(Amtsblatt von Jehovas Zeugen in Deutschland Nr. 2, Jahrgang 2009)

Für einen Zeugen Jehovas ist völlig klar, dass die Missionierung, ohne personenbezogene Daten zu notieren, nur schwer durchführbar ist – speziell was Rückbesuche betrifft. Zeugen Jehovas lassen sich in der Regel ein persönliches Gebiet aushändigen, dass idealerweise innerhalb eines halben Jahres durchgearbeitet werden sollte. Ein Gebiet umfasst meist einen Straßenblock mit ungefähr 80 bis 160 Wohnungen. Ein Gebiet gilt als durchgearbeitet, wenn man jede Person angetroffen hat. Daher versucht man zu unterschiedlichen Zeiten im Gebiet die Wohnungsinhaber anzutreffen. Hat eine Person kein Interesse, wird dies in den Notizen vermerkt, um nicht wieder vorzusprechen.

Gleiches gilt für Personen, die Interesse gezeigt haben, also eine Publikation entgegengenommen oder sich ein Video angeschaut haben. Auch der Hinweis des Wohnungsinhabers, man hätte gerade keine Zeit, versteht der Zeuge meist als Aufforderung erneut vorbeizuschauen. Dies ist ohne Notizen nur schwer durchführbar, daher müsste der Wohnungsinhaber um Erlaubnis gebeten werden, dass man sich für einen Rückbesuch seine Daten notiert.

Auf Twitter lese ich immer wieder von Personen, die dem Namen nach ausländischer Herkunft sind und das Gefühl hatten, dass Zeugen Jehovas gezielt nur sie persönlich aufsuchen wollten. Sie wurden meist auch in der von den Zeugen vermuteten Muttersprache angesprochen. Für mich als Ehemaligen verwundert dies nicht, da es hier seitens der Organisation sogar einen eigenen Vordruck gibt (Formular S-43). Dieser wird verwendet, um Personen, die nicht im eigenen Gebiet wohnen oder eine Fremdsprache sprechen und dem Anschein nach Interesse haben, die bestmögliche Betreuung zukommen zu lassen. Dieses Formular wird, nach den Angaben der Organisation, „dem Sekretär [über]geben. Er wird die Information innerhalb von ein, zwei Tagen an die entsprechende Versammlung weiterleiten oder an das Zweigbüro […] Es ist wichtig, dass Älteste regelmäßig auf der Website nachsehen. Erfahren sie so, dass jemand besucht werden möchte, ist schnell zu handeln.“ Zu meiner Zeit wurde auch gezielt nach ausländisch klingenden Namen gesucht – der sogenannte „Suchdienst“ -, um diese dann an die jeweilige fremdsprachige Gruppe von Zeugen Jehovas über das genannte Formular zu übermitteln.

 

Die WTG hat vor dem EuGH versucht zu begründen, dass es sich um rein persönliche Notizen der Mitglieder handle und die Gemeinschaft als solche erstelle weder eine Datei im Sinne des Datenschutzgesetzes noch greife sie darauf zu. Ein Zeuge Jehovas weiß dagegen sehr genau, dass die Missionierung und die Art und Weise wie man dabei vorgeht, von der WTG empfohlen und vorgegeben wird. Die Notizen werden unter den Mitgliedern auch herumgereicht, beispielsweise wenn in Gruppen innerhalb der Gebiete missioniert wird.

Daher stellte das Gericht fest:

Insbesondere ist diese Tätigkeit keine ausschließlich persönliche oder familiäre Tätigkeit, für die diese Vorschriften nicht gelten. Der Umstand, dass die Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür durch das in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU verankerte Grundrecht auf Gewissens- und Religionsfreiheit geschützt ist, verleiht ihr keinen ausschließlich persönlichen oder familiären Charakter, da sie über die private Sphäre eines als Verkündiger tätigen Mitglieds einer Religionsgemeinschaft hinausgeht.
Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung Nr. 103/18

Dass es sich bei der Missionierung nicht um eine private Angelegenheit handelt, ist bereits daran zu erkennen, dass die Missionierung ein Erfordernis für die Taufe eines Zeugen Jehovas darstellt. Auch wird über diese Tätigkeit monatlich an die Organisation berichtet, wozu Vordrucke verwendet werden, die ebenfalls von der WTG bereitgestellt werden.

Der Versuch seitens der WTG, sich am Datenschutzgesetz vorbei zu mogeln, ist aus Sicht der Organisation verständlich, da die Missionierung sich zukünftig deutlich schwieriger durchführen lässt. Hierbei sich aber von den eigenen Anhängern zu distanzieren, in dem man die „Kaltaquise“ lediglich als private und persönliche Ausübung ihres Glaubens hinstellt, ist schon sehr bedenklich, gerade wenn man mit der inneren Struktur der Zeugen Jehovas vertraut ist. Diese Taktik fällt für mich unter den Begriff der „Theokratischen Kriegsführung“ und wurde meiner Meinung nach bereits beim Verfahren zur Anerkennung des Körperschaftsstatus (KdöR) angewandt. Es beruhigt, dass die Richter des EuGH sich in diesem Fall nicht davon beeindrucken ließen und die Vorgehensweise der Zeugen Jehovas erkannt und anscheinend zwischen den Zeilen gelesen haben.

Eine Ausnahme sollte der Christ jedoch stets im Sinn behalten. Als Soldat Christi nimmt er an einem theokratischen Kriegszug teil, und den Feinden Gottes gegenüber muß er größere Vorsicht walten lassen. Die Bibel zeigt deshalb, daß es zum Schutz der Interessen der Sache Gottes angebracht ist, die Wahrheit vor Feinden Gottes zu verdecken.
Wachtturm, 1. August 1960, S. 479-480

Zum Urteil: curia.europa.eu

Quelle: Oliver Wolschke

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Das Weiterleiten von Adressen fremdsprachiger Personen an fremdspr. Gruppen und Versammlungen — ich weiß noch, was das für ein Durcheinander vor ein paar Jahren noch war. Damals war ich noch Ältester, es erschien ein Artikel im Königreichsdienst, dies sei zu tun. Kurz darauf ein offizieller Brief aus Selters und die Meldezettel dafür wurden schnell eingezogen. Nun sollten plötzlich die Verkündiger selbst sich darum irgendwie kümmern, es an fremdsp. Brüder zu melden. Ich weiß noch, wie in unserer Ältestenschaft sehr konträr darüber diskutiert wurde. Wer würde sich wohl schon darum von den Verkündigern wirklich kümmern? Die wenigsten. Letztlich wurde die Verantwortung… Weiterlesen »

Man sieht warum Jehova seit einigen Jahren im Predigtwerk den Trolleydienst eingeführt hat. Hier werden viele Menschen erreicht. Die Menschen die Interesse haben können von sich aus auf dem Trolley zu gehen und die Verkündigen ansprechen. Die Interessierten können aktiv ihre Adresse hinterlassen und der Datenschutz ist nicht betroffen. Auch wenn Satan immer neue Hindernisse in den Weg lenkt. Das Predigtwerk wird von den Engeln geleitet. Es ist nicht Menschenwerk und hat Jehovas Segen.

Täter des Wachtwurm Wortes, der sog. Trolley-Dienst ersetzt als sinnlose Beschäftigungsstrategie für Irregeitete, die weder Gott noch sich selbst kennen, und auch nicht wissen was echter Gottesdienst ist, eingeführt als Ersatz für die Haus zu Haus Belästigungen wo es immer mehr Beschwerden und Anzeigen gab. Und -nach eigenen WTG Angaben- zu Werbezwecken um mittels dieser lebenden Litfasssäulen Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen. (Falls jemand den Brief griffbereit hhat kann er ja ein Link setzen). Was du als “Angebot” angesprochen wdrden zu können verkaufen willst ist in Wirklichkeit das Verbot aktiv auf die Leute zuzugehen. Sie, die ZJ sind zu… Weiterlesen »

seit langer Abstinenz vor allem wegen den sinnlosen Diskussionen bez. TDW möchte ich mal wieder was posten: in meiner Funktion als Datenschützer ist mir in den vergangenen Monaten folgendes aufgefallen in Zusammenarbeit mit einigen christlichen (in der Regel evangelischen) Einrichtungen wie Schulen, Pflegedienste und Altenheime: 1. die Menschen dort sind aufrichtig am Wohl der Personen interessiert – sie helfen, weil sie überzeugt sind zu helfen und Gutes zu tun und das Ganze ohne Hintergedanken irgendjemand bekehren zu wollen. Vor allem helfen Sie Menschen, egal welcher Religionsgemeinschaft. Und helfen bedeutet nicht wie die Ölgötzen hinter dem Trolley zu stehen und ein… Weiterlesen »

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