Teilst du Jehovas Empfinden für Gerechtigkeit?

Kommentar zum WT-Studium w17.04 vom 19.-25.06.2017

Wie reagierst du, wenn du eine Entscheidung der Ältesten nicht verstehst?

Bildquelle: JW.org

Der Thematext des Artikels stammt aus dem Lied Mose als das Volk Israel kurz vor dem Einzug in das verheißene Land stand:

“Ich werde den Namen Jehovas verkünden… Ein Gott der Treue, bei dem es keine Unrecht gibt” (5. Mo. 32:3, 4)

Der Artikel beginnt mit dem schockierenden Bericht über König Ahab, der Naboth zwingen wollte seinen Weingarten an ihn zu verkaufen, weil er so praktisch gelegen war. Naboth weigerte sich aufgrund des Gesetzes über die Weitergabe von Erbbesitz. Daraufhin lanciert Isebel, die Frau Ahabs, eine Verschwörung mit dem Ziel Naboth und seine Söhne hinzurichten. Danach verkündet Elia den Urteilsspruch Jehovas gegen das Haus Ahabs. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass die Familie Naboths von dem Urteilsspruch Jehovas wusste, und die Tatsache, dass Gott Barmherzigkeit an Ahab übte, eine Glaubensprüfung für sie darstellte.

Aus dem Bibelbericht geht nicht hervor, dass das Volk über das Urteil an Naboth Bescheid wusste. Elia sprach zu Ahab im Privaten. Wir haben es hier also mit einer Annahme zu tun. Für die Argumentation im Artikel ist diese Behauptung aber wichtig. Im Abs. 9 und 10 wird die damalige Situation mit Naboth auf die Christenversammlung übertragen.

Am Ende von Abs. 9 heisst es:

Verkündet Jehova ein Urteil, berücksichtigt er demnach auch Tatsachen, die uns unbekannt sind. Demut schützt also Unschuldige vor dem geistigen Ruin.

Damit kann man einverstanden sein.

Jetzt die Anwendung im Abs. 10:

Wie reagierst du, wenn du eine Entscheidung der Ältesten nicht verstehst oder damit nicht einiggehst?

Hier wird die Absicht des Autors deutlich. Die Analogie die kreiert wird lautet: Jehova = “die Ältesten” oder auch  Jehova = “die leitende Körperschaft”.

Wenn wir also eine Entscheidung der Ältesten (oder der leitenden Körperschaft) nicht nachvollziehen können, sollen wir an die Angehörigen Naboths denken. Auch sie wussten nicht genau welche Überlegungen Jehova angestellt hatte. Genauso kennen wir nicht alle Hintergründe bei Versammlungsangelegenheiten[i]. Folgende Beispiele werden angeführt: Verlust von Dienstvorrechten, Gemeinschaftsentzug von nahen Familienangehörigen oder nicht erfolgter Gemeinschaftsentzug nach einer Missetat.

Die Warnung lautet dann (am Ende v. Abs. 10):

Solche Situationen können unser Vertrauen in Jehova und seine Organisation auf den Prüfstand stellen.

Es geht also um Vertrauen in die Organisation. Wer jetzt etwas weiter denkt, wird die Analogie weiterführen. Wer war im Vorbild die “Organisation” (gemäss ZJ-Denke)? Es waren irdische sichtbare Ausdrucksformen von Gottes Wille, wie zum Beispiel die Priesterschaft oder eben das Königshaus. Aber gerade die haben immer wieder versagt und nicht den Willen Gottes ausgeführt. Das war die Glaubensprüfung der damaligen treuen Juden.

Und jetzt zerfällt die Analogie, die der Wachtturm zieht, völlig. Denn wir haben es ja heute nicht wirklich mit sichtbaren Ausdrucksformen des Willens Gottes zu tun. Dies ist eine Behauptung der WTG, welche auf den Seiten dieses Forums zur Genüge wiederlegt wurde.

Der ganze Artikel zielt wieder mal einzig darauf ab, Zeugen Jehovas zur Loyalität gegenüber der “Organisation” anzuhalten. Die Aussage lautet: Wer dies nicht tut, ist nicht demütig. Wer es noch nicht begriffen hat, dem wird am Ende von Abs. 11 noch 1. Pe. 5:5 nahegelegt: “… gürtet euch mit Demut gegeneinander, denn Gott widersteht den Hochmütigen.”

Die Ermunterung, die ich aus diesem Bericht über Naboth ziehe, lautet deswegen: Trotz dem Fehlverhalten, der Arroganz und Anmaßung von selbsternannten Stellvertretern Gottes, bleibe ich Gott und Jesus Christus loyal und warte geduldig auf Christi Urteilsspruch (Joh. 5:22:42; Apg. 10:42; 2. Kor. 5:10; 2. Ti. 4:1).

Die Bereitschaft zu vergeben

Im zweiten Teil des Artikels geht es um die Begebenheit wo Petrus aus Menschenfurch die Heidenchristen der Versammlung Antiochia meidet, obwohl er zuvor überzeugend bewiesen hatte, dass auch Menschen aus den Nationen den heiligen Geist bekommen habe. Petrus erlag hier also wiedermal seiner alten Schwäche der Menschenfurcht. Der Autor bezeichnet dies streng als Heuchelei und wirft die Frage auf: Wie kann uns dieser Bericht helfen, wenn uns die Worte oder Taten eines Ältesten verletzen?

Petrus wird im Absatz 15 als ein “reifer Ältester” bezeichnet. Petrus war aber nicht irgendein Ältester. Gemäß dem Verständnis von Zeugen Jehovas war er Teil der damaligen leitenden Körperschaft. Die Anwendung müsste also lauten: Wie reagieren wir, wenn Glieder der leitende Körperschaft Äußerungen machen die uns verletzen?

Mir kommt da zum Beispiel Antony Morris (Glied der leitenden Körperschaft seit 2005) in den Sinn, wie er 2009 an einem Bezirkskongress von seiner Zeit im Vietnamkrieg schwärmt. Er beschrieb drastisch wie verbranntes Menschenfleisch riecht und wandte es auf Harmagedon an. Wörtlich sagte er: “In Harmagedon werden die von Gott getöteten wie verbrannte aufgeplatzte Hot Dog-Würstchen herumliegen” (Quelle, leider nur in Englisch: https://www.youtube.com/watch?v=Nr0dI9OY_S4).

Das ist natürlich nicht im Entferntesten mit dem Verhalten des Apostel Petrus zu vergleichen. Trotzdem mahnt der Wachtturm schulmeisterlich: “Es ist zu hoffen, dass damals niemand wegen des Fehlers von Petrus, der ja auch nur ein unvollkommener Mensch war, zum Straucheln kam.”

Auf Anthony Morris trifft dies aber bestimmt nicht zu. Viele die diesen Vortrag anhören mussten, oder Aufnahmen davon hörten, sind schockiert und wenden sich von der Organisation ab. Und das trotz der Ermahnung in Absatz 18:

Wie reagierst du beispielsweise, wenn ein Ältester eine Bemerkung macht, in der eine gewisse Voreingenommenheit mitschwingt? Wird es dich zu Fall bringen, wenn ein Ältester gedankenlos etwas Verletzendes sagt? Schlussfolgerst du sofort, er eigne sich nicht länger als Ältester, oder wartest du geduldig auf Jesus, das Haupt der Versammlung?

Der Autor des Artikels scheint auch enormen Wert auf “Vorrechte” zu legen:

Was machst du beispielsweise, wenn du ein lieb gewonnenes Dienstvorrecht verlierst? Oder wenn ein Freund ein Vorrecht verliert? (Abs. 10)

Welche Vorrechte hatte Petrus, und wie bewies er Mut? (Frage zu Abs. 13, 14)

Petrus nahm den Rat von Paulus offensichtlich demütig an. Nichts in der Bibel weist darauf hin, dass er seine Vorrechte verloren hätte. (Abs. 17)

Kannst du dich mit einem Bruder freuen, der gegen dich gesündigt hat und Ältester bleibt oder sogar noch weitere Vorrechte bekommt? (Abs. 18)

Woher kommt diese Obsession in Verbindung mit Vorrechten? Offensichtlich legt die Organisation großen Wert auf Vorrechte, auf Stellung, auf Macht und Kontrolle über andere und fürchtet sich davor diese zu verlieren. Wir kennen aus der Geschichte auch andere religiöse Führer die sich darüber Sorgen machten (Joh. 11:48). Der Autor unterstellt dem Leser dieselben Motive. Das ist ziemlich entlarvend (Mat. 12:34). Teil der Strategie, Kontrolle über andere auszuüben, besteht darin sie mit Vorrechten zu locken.

[i] Der Grund warum Brüder oft nicht alle Einzelheiten kennen, sind die geheimen Verhandlungen, in denen Rechtsangelegenheiten der Versammlung behandelt werde. Im alten Israel waren solche Verhandlungen öffentlich, bei den älteren Männern vor den Stadttoren. Auch Jesus sagte, dass man zu der Versammlung gehen solle, wenn ein Sünder nicht auf zwei oder drei hört. Die einzige Geheimverhandlung von der die Bibel berichtet ist das Verfahren gegen Jesus vor dem Sanhedrin.
Siehe auch: Unser christliches Rechtssystem – Teil 1 und Unser christliches Rechtssystem – Teil 2

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Ihr Lieben, passend zu diesem Artikel ein relevanter Auszug aus dem Glossar, Eintrag “Ältester”: Der “Tagestext” vom 30.11.2015 belegt, auf welch drakonische Weise die WTG ihrer Befehlsempfängerherde absoluten und blinden Gehorsam gegenüber ihren “Ältesten”-Hierarchiefunktionären einfordert: “Euer Murren ist nicht gegen uns, sondern gegen Jehova (2. Mo. 16:8) Jehova und Jesus unterlaufen als Hirten keine Fehler. Den Unterhirten, denen sie die Herde anvertraut haben, allerdings schon [wie können sie dann aber gemäß o. a. WTG-Lehre “Sterne in der rechten Hand Christi” sein? Christus unterlaufen keine Fehler]. Deswegen mag es für einige nicht leicht sein, der Leitung der Ältesten zu folgen. Jemand… Weiterlesen »

Vor einigen Monaten stand im Wachtturm, ich weiß leider nicht mehr, welcher, in einem Artikel eine alarmierende Aussage. Ich schreibe sinngemäß aus der Erinnerung:   “Wenn ein Ältester, z.B. in einer Ansprache sagt, dass man keinen Umgang mehr mit Verkündigern haben sollte, die eine ‘feste Freundschaft’ mit einem Nichtzeugen pflegten; wirst du dich daran halten ?”  1. Eine solche Förderung wäre noch unbiblischer als die bisherigen rigiden Ausschlussregeln. Es geht um persönliche Beziehungen, in denen keinerlei Sünden wie Hurerei begangen werden. In der Bibel steht nirgendwo ein diesbezügliches Verbot. Eine entsprechende Bibelstelle können sie auch nicht anbringen.   2.  Älteste… Weiterlesen »

Bin letztens mit einem Ältesten auf das Thema Australien zu sprechen gekommen. Um die WTF.org in Schutz zu nehmen, versuchte er den “allgemeinen Sittenverfall” zu strapazieren und begann Homosexuelle und Kinderschänder undifferenziert in einen Topf zu werfen….

Hi Zusammen, Zugegeben, ich habe den WT-Artikel nicht gelesen. Beim Lesen des Artikels hier auf BI-Aktuell, ist mir allerdings etwas aufgefallen, dass ich gerne zur Diskussion stellen möchte. Es wir wohl löblich erwähnt, dass Paulus Petrus zurechtgewiesen hat und dieser die Zurechtweisung demütig angenommen hatte. Nun, wenn ich mich recht erinnere, beschreiben die Zeugen Jehovas, dass Petrus in der Urgemeinde in Jerusalem zur Leitenden Körperschaft gehörte, Paulus jedoch nicht. Interessant fand ich nun, dass ein scheinbar “einfacher” Missionar wie Paulus, ein hohes Mitglied der angeblichen “Leitenden Körperschaft der Urgemeinde”, was die Lehre betraf zurechtweisen durfte. Nicht nur dass Paulus dies… Weiterlesen »

Ihr Lieben, auch der gestrige wt-“Studienartikel” ist wieder in Musterbeispiel für JW.Org-seitige Manipulation und gruppendynamische Befriedung ihrer Befehlsempfängerherde, die sie zwecks leichter Gängelbarkeit klein und gefügig halten will. Wieder setzt das oberste menschliche ZK seine eigenen, selbstersonnenen “Ihr müßt uns gehorchen, denn so gehorcht ihr Gott!”-Direktiven mit tatsächlich inspirierten, göttlichen Gesetzen biblischer Zeit auf die gleiche Stufe und macht sich dadurch krasser Blasphemie schuldig. Man staune, mit welcher Unverfrorenheit in Abs. 9 und 10 “Entscheidungen der Ältesten” mit JHWHs vollkommenen und gerechten Richtersprüchen auf die gleiche Stufe gestellt werden. Man bedenke: JHWH = unfehlbar; “Älteste” = kleine, unvollkommene Menschlein unter… Weiterlesen »

Die Ärzte Woche vom 29. Juni 2017 schreibt auf Seite 11 Folgendes: “Papageno-Effekt. Die Lektüre von Aufklärungsmaterial im Internet kann die Suizidalitaet von Menschen tatsächlich reduzieren.”  Das Resultat der Studie der MedUni Wien ist, dass die Suizidgefahr mittels edukativer Webseiten tatsächlich reduziert werden kann.

In diesem Sinne ein herzliches Dankeschön an BruderInfo. Wer weiß, wievielen betrübten Menschen Ihr schon das Leben gerettet habt?

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